Die vielen Wunder von Tabriz
Chrissie
„Ich habe einen Freund in Tabriz. Da können wir übernachten.“
„Lass uns lieber eine Unterkunft buchen, Ahmad. Schau mal, wie haben dank dir schon so viel Geld gespart, da wäre es uns eine Ehre, wenn wir …“
Weiter komme ich nicht. „Ich habe Hussein schon angerufen. Er freut sich auf uns. Wir können das unmöglich wieder absagen.“
„Aber vielleicht war es nur Taroof.“
Für einen Moment wirkt Ahmad nachdenklich. Ich kenne ihn mittlerweile gut genug, um seine Mimik zu deuten. Das kleine Stirnrunzeln bedeutet, dass meine Annahme nicht völlig abstrus ist.
„Aber wir fahren auf jeden Fall erstmal zu ihm. Er erwartet uns. Und wir haben uns seit über acht Jahren nicht gesehen. Danach können wir immer noch entscheiden.“
Reinhard seufzt von hinten. Ich bin neugierig. „Woher kennt ihr euch eigentlich?“
„Wir haben uns in Japan kennengelernt.“
„Ach was!“
Dass Ahmad zwölf Jahre in Japan gelebt und gearbeitet hat, fließend Japanisch spricht, wussten wir schon. Dass außer ihm viele andere Iraner dort an Bauprojekten beteiligt waren, ist neu.
„Hussein ist ein sehr guter Mann“, schließt Ahmad seinen Bericht. „Ihr werdet ihn mögen.“
Reinhard
Der Weg zu unserer letzten Station im Iran ist lang. Schier endlose 300 Kilometer. Hoch ins erste Gebirge bis in die Wolken. Schritttempo. Ganz oben ein Stau. Ein PKW ist im Nebel mitten auf der Fahrbahn mit einem Rad in ein Schlagloch geraten – mehr als einen halben Meter tief. Nun hängt der Wagen schräg auf der Kante und versperrt die halbe Fahrbahn. Es dauert, bis Polizisten den Verkehr im Griff haben. Hart am Abgrund geht es weiter. Diese halblinde Fahrerei macht mich fertig. Hat mich endgültig die Reisemüdigkeit gepackt oder liegen die Nerven einfach zu blank?
Dann sind wir wieder im Tal.
Sonnenschein für die restlichen 200 Kilometer. Vorbei an abgeernteten Weizenfeldern auf sanften Hügeln, aber im Hintergrund erneut schroffe Felsen – diesmal in Regenbogenfarben. Faszinierend. Leider gibt der Kameraakku seinen letzten Seufzer von sich und wir müssen uns vorerst mit einigen Handyfotos begnügen.
Chrissie hat gegoogelt und ist wie elektrisiert. „Solche Felsen gibt es auf der ganzen Welt nur sehr selten. So etwas werden wir nie wieder sehen können.“
Weil wir nicht mehr fliegen werden, denke ich. Ist okay. Aber etwas Wehmut ist schon dabei. Eigentlich mag ich Flugzeuge … schade, dass die (noch) nicht mit Wasserstoff betrieben werden können.
„Wird Zeit, dass ich für uns die Hotelzimmer buche“, sagt Chrissie.
„Warte damit lieber noch“, wendet Ahmad ein. „Hussein kann uns bestimmt was Gutes empfehlen!“
Zögern. Wir ahnen, worauf es hinausläuft, wollen aber niemanden vor den Kopf stoßen. Außerdem hat Ahmad nicht unrecht. Das, was Chrissie mir nach kurzer Recherche mitteilt, klingt nämlich ernüchternd. Tabriz scheint in Sachen Unterkünfte ein teures Pflaster zu sein.
„Wird Zeit, dass ich für uns die Hotelzimmer buche“, sagt Chrissie.
„Warte damit lieber noch“, wendet Ahmad ein. „Hussein kann uns bestimmt was Gutes empfehlen!“
Zögern. Wir ahnen, worauf es hinausläuft, wollen aber niemanden vor den Kopf stoßen. Außerdem hat Ahmad nicht unrecht. Das, was Chrissie mir nach kurzer Recherche mitteilt, klingt nämlich ernüchternd. Tabriz scheint in Sachen Unterkünfte ein teures Pflaster zu sein.
Schnappschüsse von unterwegs
Gegen 19:00 Uhr kommen wir an. Hussein steckt noch in einem Termin, so dass wir die Gelegenheit nutzen, um uns den Shahgoli Park anzusehen. Mitten im Pool steht ein nett angeleuchtetes Restaurant.
Wir entscheiden uns für ein Süppchen in einem der günstigen Lokalen ringsum, warten und frieren. Die Nächte werden kühler. Der Herbst hält Einzug.
Chrissie
Endlich. Ahmads Handy klingelt. Hussein ist angekommen. Ein Mann Mitte fünfzig, kräftige Bartstoppeln, Brille und ein sanftes Lächeln im Gesicht. Ahmad und er umarmen sich. Auch Reinhard erhält die obligatorischen Wangenküsse. Ich begrüße ihn vorsichtshalber ohne Handschlag., denn von Ahmad weiß ich, dass er religiös ist. Obwohl die beiden sich sicher viel zu erzählen haben, fahren wir direkt los. Ahmad in seinem dünnen T-Shirt zeigt nämlich erstmalig so etwas wie ein Kälteempfinden.
Etwas abseits des Zentrums biegen wir in eine Hochhaussiedlung. Kaum sind wir im Quartier angekommen, ist endgültig klar, dass wir nirgendwohin mehr fahren. Es ist mittlerweile 21:00 Uhr, wir werden in die große, luxuriöse Wohnung von Husseins betagten Eltern geführt. Herzliche Begrüßung. Die Mutter umarmt mich. Und ich mache ich ein ehrliches Kompliment. „Das sind die schönsten braunen Augen, die ich je gesehen habe.“
Es stimmt. Ihre Iris leuchtet, als ob jemand Licht durch ein Teeglas schickt.
Und dann gibt es tatsächlich welchen. Tee. Hussein wirbelt in der offenen Küche herum und präsentiert uns außerdem ein leckeres Dinner. Dann zeigt er uns ein bequemes Zimmer mit zwei Betten und dicken Decken. Soviel ist klar. Von hier darf man nicht fliehen.
Reinhard
Nachts muss ich, wie so oft, noch mal raus. Zu viel Kaffee und Tee – der Tank läuft fast über. Leider knatschen und knirschen die Türen verdammt laut.
„Bist du wahnsinnig“, zischt Chrissie, als ich zurück bin. „Du weckst alle auf!“
„Bist du wahnsinnig“, zischt Chrissie, als ich zurück bin. „Du weckst alle auf!“
„Sorry! Bin gespannt, ob du es leiser schaffst.“
Diesmal gewinne ich. Und damit ist klar: Wir können und wollen das den beiden alten Leutchen nicht antun, noch drei weitere Nächte um ihren Schlaf gebracht zu werden.
Am nächsten Morgen lehnt Hussein unser Vorhaben, doch ein anderes Quartier zu suchen, zunächst vehement ab. Entsprechend gibt er uns auch keine Empfehlungen für eine Unterkunft. Auch Ahmad meldet Bedenken an, weil er ebenfalls die gängigen Portale abgegrast hat und keine Kosten verursachen will. „Ihr könnt im Hotel übernachten, ich bleibe hier. Das ist kein Problem“, sagt er.
Diesmal gewinne ich. Und damit ist klar: Wir können und wollen das den beiden alten Leutchen nicht antun, noch drei weitere Nächte um ihren Schlaf gebracht zu werden.
Am nächsten Morgen lehnt Hussein unser Vorhaben, doch ein anderes Quartier zu suchen, zunächst vehement ab. Entsprechend gibt er uns auch keine Empfehlungen für eine Unterkunft. Auch Ahmad meldet Bedenken an, weil er ebenfalls die gängigen Portale abgegrast hat und keine Kosten verursachen will. „Ihr könnt im Hotel übernachten, ich bleibe hier. Das ist kein Problem“, sagt er.
„Kannst du ganz schnell vergessen“, sagt Chrissie. Ich habe eine schöne Wohnung gefunden mit zwei Schlafzimmern. Inklusive Frühstück 60 Dollar pro Nacht. Du kommst mit.“
„60 Dollar?“ Ahmad wirkt entsetzt. „Wofür? Für ein Bett zum Schlafen?“
Das geht eine Weile so hin und her. Aber am Ende finden wir einen Kompromiss.
„Dann lasst mich wenigstens versuchen, ob wir die Wohnung günstiger bekommen. Als Iraner kann man andere Preise aushandeln.“ Deal.
Chrissie
Wir fahren zu dem ins Auge gefasstem Objekt. Die Frau des Vermieters, in korrektem Hejab und in ein bis zum Boden reichendes Kleid gehüllt, führt uns in den ersten Stock. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht ‚Boah!‘ zu rufen. Traumunterkunft. Nein, ein Palast! Zwei geräumige und bequeme Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, das so groß ist, dass man Flic Flacs darin üben kann. Essecke, offene Küche – und ein Balkon, von dem aus man sogar reife Weintrauben pflücken kann.
Ahmad übernimmt mit ernster Miene die Verhandlung. Wir verstehen kein Wort, aber er scheint der Dame begreiflich zu machen, dass man für diese ‚Abstellkammer‘ niemals so einen Preis verlangen kann. Vielleicht argumentiert er auch nur, dass ein Leerstand nicht in Ihrem Sinne ist. Denn für alles andere ist unser iranischer Freund im Grunde seines Herzens viel zu lieb.
Reinhard
Ich bekomme Herzklabastern. Zehn Minuten Verhandlung. Gleich schmeißt die uns raus, denke ich. Doch dann nicken beide einvernehmlich. Wir erhalten einen Schlüsselbund.
Ich bekomme Herzklabastern. Zehn Minuten Verhandlung. Gleich schmeißt die uns raus, denke ich. Doch dann nicken beide einvernehmlich. Wir erhalten einen Schlüsselbund.
Kaum ist die Frau nach unten verschwunden, macht Ahmad eine Freudenrolle über den dicken Perserteppich und wälzt sich darauf wie ein betrunkener Pudel. Seine Beine strampeln in der Luft und er lacht sich heiser.
Ansteckend. Es dauert eine Weile, bis wir uns beruhigt haben. „Und? Wieviel zahlen wir denn nun?“, frage ich glucksend.
„25 Dollar pro Nacht.“
„Waaaas?!“, schreit Chrissie. „Du bist genial!“
Als wir uns eingerichtet haben, wird es wieder ernst: Wie kommen wir eigentlich in einigen Tagen nach Van, unserer ersten Station in der Türkei? Immerhin haben wir schon die Busfahrten nach Ankara und Istanbul gebucht. Aber die Fahrt über die Grenze ist noch offen. Van ist nochmal vier Autostunden von Tabriz entfernt.
Wir treffen uns mit Hussein, der sich in seiner Heimatstadt natürlich besser auskennt. Zu viert geht es zum Busterminal, weit draußen vor der Stadt. Wir klappern die Kojen aller Reiseunternehmen ab, doch das Ergebnis ist niederschmetternd: Bis Ende September sind alle Fahrten nach Van ausgebucht. Und so lange können wir nicht warten.
„Calm down and take a shower!“, witzelt Ahmad. „Wir finden einen Weg!“
Erneute Telefonkonferenzen. Schließlich scheint es doch noch eine Möglichkeit zu geben: Ahmad will uns zuerst in die Kleinstadt Choy bringen, 15 Kilometer von der Grenze entfernt, um dort zu übernachten. Von da aus soll es jede Menge Kleinbusse nach Van geben, die noch nicht ausgebucht sind.
„Musst du nicht zurück nach Teheran?“
„Kein Problem …“
Mannomann! Wieviele Kilometer hat er schon für uns abgerissen! Klar, Sprit und Übernachtungskosten übernehmen wir. Aber jetzt hängt er noch zwei Tage dran, in denen er kein Geld verdienen kann. Und danach geht es 500 einsame Kilometer allein nach Teheran zurück! Das ist mehr, als manche Freundschaft es verkraften kann.
Wir treffen uns mit Hussein, der sich in seiner Heimatstadt natürlich besser auskennt. Zu viert geht es zum Busterminal, weit draußen vor der Stadt. Wir klappern die Kojen aller Reiseunternehmen ab, doch das Ergebnis ist niederschmetternd: Bis Ende September sind alle Fahrten nach Van ausgebucht. Und so lange können wir nicht warten.
„Calm down and take a shower!“, witzelt Ahmad. „Wir finden einen Weg!“
Erneute Telefonkonferenzen. Schließlich scheint es doch noch eine Möglichkeit zu geben: Ahmad will uns zuerst in die Kleinstadt Choy bringen, 15 Kilometer von der Grenze entfernt, um dort zu übernachten. Von da aus soll es jede Menge Kleinbusse nach Van geben, die noch nicht ausgebucht sind.
„Musst du nicht zurück nach Teheran?“
„Kein Problem …“
Mannomann! Wieviele Kilometer hat er schon für uns abgerissen! Klar, Sprit und Übernachtungskosten übernehmen wir. Aber jetzt hängt er noch zwei Tage dran, in denen er kein Geld verdienen kann. Und danach geht es 500 einsame Kilometer allein nach Teheran zurück! Das ist mehr, als manche Freundschaft es verkraften kann.
„Okay?“, fragt er.
„Gibt es eine Alternative?“
„Gibt es eine Alternative?“
Kopfschütteln.
„Okay. Dann vielen, vielen Dank! Wie sollen wir das alles jemals wieder gut machen?“
„Macht euch keine Gedanken. Ich helfe gern.“
Gut fühlt es sich nicht an. Chrissie wirkt genauso betreten wie ich. Dann zuckt sie mit den Schultern. Vielleicht finden wir noch einen Weg, um uns zu revanchieren, scheint sie mir sagen zu wollen.
Aber jetzt ist Zeit für ein verspätetes Lunch. Ein Freund Husseins hat in der Stadt ein kleines Restaurant. Und er möchte uns einladen.
„Vorsicht!“, mahnt Ahmad unnötigerweise. „Er ist ein guter Freund, aber auch ein Meister des Taroof!“
„Vorsicht!“, mahnt Ahmad unnötigerweise. „Er ist ein guter Freund, aber auch ein Meister des Taroof!“
Chrissie
Das Restaurant ist wirklich klein: vier Tischchen mit jeweils vier Plätzen, außer dem Chef wirken hier noch zwei weibliche Angestellte. Eine bebilderte Speisekarte mit den verwendeten Zutaten sowie genaue Preisangaben – im Gegensatz zu vielen anderen Gaststätten sehr ausländerfreundlich. Mehrere vegane Angebote lassen mein Herz höher schlagen – und die drei Leutchen kochen verdammt gut.
Als das Ende der fantastischen Mahlzeit naht und Hussein sich erhebt, springe ich auf wie eine Zensi auf Ecstasy. Sehr unweiblich schiebe ich mich an dem Tabrizer vorbei und wedle mit iranischen Rials, um mein Anliegen deutlich zu machen, bevor Hussein seine Bankkarte zücken kann.
Ich kann in den Augen der anderen lesen. Deutsche Bäuerin, denken sie. Vielleicht auch das iranische Äquivalent zu „die zeigt dem, wo der Bartel den Most herholt.“
Ich schere mich nicht darum. Nichts in diesem Moment erscheint mir beschämender, als dass wir uns noch mehr von diesen großzügigen Leuten aushalten lassen.
Gewonnen! Hussein schaut mich etwas ängstlich an, wie es mir scheint. Kurz darauf verschwindet er für ein paar Minuten. „Er ist beten gegangen“, erläutert Ahmad. Wow, denke ich. Den Effekt hatte ich noch bei keinem Menschen.
Die nachfolgende Bildergalerie zeigt, dass es möglich ist, sämtliche Sehenswürdigkeiten der Stadt in vier Stunden abzuklappern. Natürlich nur, wenn man einen Hussein kennt 😉
Reinhard
Aber Hussein revanchiert sich zwei Abende später, als er uns beim Abendessen fast seine ganze Familie vorstellt: seine Frau, drei Töchter samt den Schwiegersöhnen. Nur die vierte Tochter und deren Mann stellen sich ein bisschen an. „Zu weite Anreise“, heißt es. Okay, sind wir mal nicht so. Von Ulm aus fährt man ja doch ne Weile. 😉
Aber Hussein revanchiert sich zwei Abende später, als er uns beim Abendessen fast seine ganze Familie vorstellt: seine Frau, drei Töchter samt den Schwiegersöhnen. Nur die vierte Tochter und deren Mann stellen sich ein bisschen an. „Zu weite Anreise“, heißt es. Okay, sind wir mal nicht so. Von Ulm aus fährt man ja doch ne Weile. 😉
Abends geht es Ahmad zusehends schlechter. Der Abend im T-Shirt im kalten Park rächt sich. Und wir machen uns Vorwürfe, unseren Freund dort nicht wenigstens zu einem Schal genötigt zu haben. Chrissie kocht Kräutertee und schickt Ahmad früh ins Bett. „Komm bloß nicht auf die Idee, die halbe Nacht am Laptop zu verbringen. Du gehörst ins Bett.“
Am nächsten Tag schläft Ahmad bis zum Mittag. Beim späten Frühstück, das Chrissie für ihn vorbereitet hat, beichtet uns der Patient, dass er nachts noch in die nächste Klinik gefahren ist, wo man ihm eine Infusion sowie mehrere Tabletten gegeben hat.
Wir sind entsetzt.
„Warum hast du uns nicht geweckt?“
„Ihr wart doch auch müde.“
„Warum hast du uns nicht geweckt?“
„Ihr wart doch auch müde.“
Als er uns dann noch ein Selfie zeigt, wie er mit Infusionsnadel im Arm auf einem Krankenbett liegt, flippt Chrissie fast aus. „Bist du eigentlich wahnsinnig? Würdest du umgekehrt auch wollen, dass wir nachts um drei mit Fieber durch die Straßen taumeln?“
Ahmad wird kleinlaut. „Ich kenne meinen Körper. Ich gebe gut acht.“
„Klar, das hast du eindrucksvoll bewiesen.“ Schnauben. „Was hast du denn für Medikamente bekommen?“
Er zeigt sie ihr.
Chrissie recherchiert im Internet und sortiert. „Das ist gegen Fieber, das gegen grippale Infekte …“
„Ich fühle mich heute wieder gut. Wirklich. Ich habe überlegt, dass wir heute noch nach Kandovan fahren.“
Falsche Antwort.
„Wir fahren heute nirgendwo mehr hin. Du darfst bei dem Cocktail nicht mal Auto fahren. Willst du dich und uns umbringen? Nix da. Du ruhst dich heute aus. Reinhard und ich kommen auch mal einen Tag ohne Babysitter klar.“
„Ja, aber …“
„Nix aber. Bett.“
Der Iraner hat gegen das Krankenschwestergen keine Chance. Erst als er sich mit einer Kanne Tee in sein Zimmer verzieht, ist Chrissie zufrieden. „So!“, sagt sie. Wir machen jetzt eben klar Schiff. Und dann gucken wir uns den Basar an.“
Beim Rausgehen begegnet uns unserem Vermieter. Wir grüßen freundlich und berichten, dass unser Freund sich erkältet hat und sich heute schonen muss. Mit einigen Ermahnungen in Sachen „Achtung, Pickpockers“ ziehen wir endlich los.
Die Stadt gefällt. Und das Treiben in der ehemaligen Karawanserei ist ebenfalls spannend anzusehen.
Stressfreier als in anderen Städten, nicht so überfüllt. Drei schöne Innenhöfe mit Bäumen, Bänken und vielen Katzen. Mann, das wären ideale Plätze für Bistros und Cafés, denke ich. Und dann ein Zigarettchen …
Im dritten Hof werden wir fündig: zwei Tischchen draußen, guter Kaffee, leckerer Kuchen – die Preise sind aber auch lecker. Schließlich ist das Café dort konkurrenzlos.
Dann kehren wir in unseren Palast zurück. Ahmad sitzt schon wieder am Laptop und schreibt.
Dann kehren wir in unseren Palast zurück. Ahmad sitzt schon wieder am Laptop und schreibt.
„Wie geht es dir?“, frage ich.
Unser Freund hebt beide Arme wie ein Bodybuilder, der seine Muckis zeigen will.
„Sehr gut.“
Chrissie ist skeptisch. Aber Ahmad versichert glaubhaft, dass die Infusion, die Medizin und der Schlaf ihn fast vollständig wiederhergestellt haben. Und er war schon wieder fleißig.
„Ich habe eine Möglichkeit gefunden, wie ihr doch direkt von hier aus über die Grenze nach Van kommt.“
Er erläutert die Option. Diese ist deutlich teurer als eine Busfahrt von Choy aus, aber dafür müssten wir nicht mitten in der Nacht losfahren, um morgens um 06:30 Uhr die Sammeltaxistelle zu erreichen. Ein Privattaxi. Umgerechnet fünfzig Euro soll es kosten. Ganz sicher ist Ahmad nicht, ob das eine gute Idee ist. „Sehr teuer“, fasst er seine Bedenken zusammen.
„Nehmen wir“, sagen Chrissie und ich fast gleichzeitig.
Chrissie
Bevor Ahmad und ich losfahren, um das Auto zu chartern, koche ich ein paar Nudeln. „Für später“, sage ich, „müssen wir dann nur noch mit Gemüse aufbraten.“
Doch kaum, dass ich die Nudeln abgegossen habe, klopft es an der Tür. Es ist unser Vermieter. Er trägt eine Glasschüssel in der Größe einer Kinderbadewanne.
Ahmad springt sofort auf und nimmt ihm das Gefäß ab.
Es ist Suppe. Genauer gesagt, eine Erkältungssuppe. Viel Gemüse, viel Zitrone. Frisch vom Herd. Ahmad bedankt sich überschwänglich. Und auch ich bin mal wieder gerührt. Das ist keine Höflichkeitsgeste, sondern echte Sorge. Im Iran kümmern sich die Menschen umeinander. Nicht zum ersten Mal auf dieser Reise beschließe ich, dass wir davon so viel wie möglich nach Deutschland importieren müssen.
„Die Nudeln können wir auch morgen noch aufbraten“, beantworte ich die ungestellte Frage der beiden Männer. Zufrieden machen Ahmad und ich uns auf den Weg zu dem Privattaxiunternehmen. Reinhard möchte die Zeit lieber zum Schreiben nutzen. Soll er.
„In einer dreiviertel Stunde sind wir wieder da“, sagt Ahmad, bevor wir die Tür schließen.
Weit gefehlt. Fast drei Stunden brauchen wir.
Teil 1 ist in einer halben Stunde erledigt. Fahrt für den übernächsten Tag gebucht, Rechnung in der Hosentasche. Handschlag. Prima, gleich ein schöner Teller Suppe und ausruhen.
Doch kaum sind wir 500 Meter gefahren, leuchtet eine Warnlampe am Display des altersschwachen Zanjan auf. Ahmad beäugt die Anzeige misstrauisch. Aber nach weiteren zwei Kilometern hält er rechts am Straßenrand an.
„Irgendein Problem?“, frage ich.
„Nicht der Rede wert“, antwortet Ahmad und öffnet die Motorhaube.
Das Hitzewabern, das ihm entgegenschlägt, lässt ihn ein paar Zentimeter zurücktaumeln.
Das sieht nicht gut aus, denke ich. Aber der Iraner ist pragmatisch. Aus dem Kofferraum befördert er drei große Wasserflaschen. Den Inhalt gießt er auf den Motorblock.
Es zischt und dampft wie aus einem Geysir. Dass sich da irgendwas abgekühlt hat, wird auch nach dem dritten Liter nicht ersichtlich. „Die haben bei der Reparatur in Teheran wohl geschlampt“, erklärt Ahmad mir überflüssigerweise. „Und jetzt?“
„Jetzt besorge ich mehr Wasser.“
Insgesamt verschwindet Ahmad sieben Mal in einem Versicherungsbüro, um Wasser nachzufüllen. Das Zischen wird nach zwanzig Minuten kleinlauter.
„Wir können weiter“, sagt Ahmad zufrieden, als er die Motorhaube mit lautem Scheppern fallen lässt. Ich bin froh, denn zum einen habe ich mittlerweile echt Hunger und zum anderen mach Reinhard sich bestimmt Sorgen, wo wir bleiben. Doch das nächste Problem lässt nicht lange auf sich warten. Ahmads Handyakku ist leer und somit ist auch keine Navigation verfügbar.
Dann nehmen wir meine, sage ich. Aber, äh, wie hieß die Unterkunft doch gleich?
„Mojaher Hostel.“
„Ja, stimmt!“
Ich tippe den Namen in meine Offline Map und sie findet das Ziel. Perfekt. Schon während der Fahrt wundern wir uns ein wenig. Unbekanntes Terrain. Oder wirkt das nur so, weil es stockdunkel ist mittlerweile? Mehrspurige Schnellstraßen. Zweimal verpassen wir die Ausfahrt und müssen eine riesige Runde fahren.
Ahmad lässt sich mehrmals die Naviroute zeigen. Stirnrunzeln, diesmal das große. Dann, endlich, sind wir angekommen. Das behauptet zumindest die Navi. Einziges Manko: Weder Ahmad noch ich erkennen irgendetwas wieder. Nach fünfminütigem Rumkurven sind wir uns sicher, dass wir beide diese Gegend noch nie gesehen haben.
„Fuck“, murmle ich.
Ahmad versucht in der nachfolgenden Stunde mit der ältesten Methode der Welt, unser Ziel zu finden. Das Krankenhaus, in dem er nachts war, müsste den Leuten doch bekannt sein. Wir durchfahren das Tabrizer Dunkel, mal rechts, mal links. Am Ende stehen wir wieder an der großen Schnellstraße. Ich muss mich zwingen, nicht hysterisch aufzulachen.
Dann klatsche ich mir auf die Stirn! Ich Dösel, warum habe ich nicht sofort daran gedacht?
In meiner Taxi App habe ich doch die Adresse per GPS Ortung gespeichert. Aaah, nicht Mohajer sondern Mojaher Hostel! Ahmad ist entsetzt. „Du willst ein Taxi rufen? For what? Wir haben ein Auto!“
„Weil die App uns nicht zum Ziel navigiert, weil ich Hunger habe und weil Reinhard wartet und sich sicher sorgt“
Das letzte Argument zieht. Das Taxi erscheint nur wenige Minuten später und Ahmad fährt uns hinterher.
22:00 Uhr. Ankunft vor der richtigen Tür. Puh!
Kaum sind Ahmad und ich ausgestiegen, öffnet sich eine weitere Fahrzeugtür. Es ist Hussein. Für seine Verhältnisse kreidebleich. Mit schnellen Schritten ist er bei uns. Ahmad wird umarmt und geküsst. Hussein ist fast verrückt vor Sorge, denn Ahmad hatte ihn per Kurznachricht vom Krankenhausbesuch und seiner Erkältung berichtet. Als er dann den ganzen Tag nicht erreichbar war …
„Komm mit rauf“, sage ich. Wir kochen Tee und …“
Hussein schüttelt den Kopf und deutet auf sein Fahrzeug. Jetzt sehe ich es. Seine Eltern sitzen darin. Die alte Frau hat einen riesigen Topf auf dem Schoß, der Vater eine große Plastiktüte. „Meine Mutter hat Erkältungssuppe gekocht“, sagt Hussein. „Mit viel Vitamin C.“
Und in der Tüte? „Frisches Brot und Bioobst.“
Iran, du bist so geil, denke ich. Und Hussein, du bist ein perfekter Freund!
Reinhard
Meine Überraschung ist groß, als Ahmad, Chrissie und Hussein mit Topf und Tüten vor der Tür stehen. Kurzer Bericht, dann bin ich im Bilde.
„Leider gibt es hier keinen Aufzug und meine Mutter kann solche Treppen nicht mehr steigen“, erklärt der Iraner, als ich frage, warum die Herrschaften nicht auf einen Kaffee oder Tee hochkommen.
Während Chrissie dafür sorgt, dass die zweite medizinische Suppe warm gestellt wird, gehe ich mit nach unten und bedanke mich bei den beiden Achtzigjährigen. Der Vater macht Anstalten, doch noch aus dem Wagen zu klettern, aber dann beuge ich mich hinunter und wir tauschen unsere Männerküsse in etwas unbequemer Haltung, aber herzlich. Später erfahre ich, dass Chrissie genauso verfahren ist. Mit der Mutter, versteht sich. 😅
Der Wagen verschwindet und ich kehre überwältigt ins Haus zurück.
Der Wagen verschwindet und ich kehre überwältigt ins Haus zurück.
Iran as it’s best!
Am nächsten Tag geht es Ahmad wieder gut genug, um kleine Bäume auszureißen. Wir fahren zurück zu den bunten Bergen. Diesmal mit geladenen Kameraakkus. Die Klettertour für mich ist nach der Hälfte beendet – das Geröll ist nichts für alte Männer. Ahmad und Chrissie klettern nach oben und grüßen mich aus der Ferne mit einem Triumphgeheul, als hätten sie gerade den Mount Everest ohne Sauerstoffgerät erklommen. Ich gönne es ihnen, denn auch von unten sehen die Rainbow Mountains wunderschön aus.
Und beklagen kann ich mich ohnehin nicht. Welcher 73-Jährige erlebt schon solche wunderbaren Abenteuer?
6 thoughts on “Die vielen Wunder von Tabriz”
Ihr könnt Ahmad auch gerne nach Brüssel schicken – würde ihn gerne kennenlernen.
Ahmad ist kein Paket! 😉 Und ob das Visum auch für Belgien gilt? Vermutlich nicht. Aber du kannst ja mal nach Bochum kommen!
Wieder ein toller Bericht: einfach einzigartig, diese Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Fürsorglichkeit! Bin tief beeindruckt und beneide Euch um die Erfahrungen. Wie gerne würde ich schon morgen wieder in den Iran fahren, um diese wunderbaren Leite wiederzusehen, die mir/uns auf unserer Reise begegnet sind.
Wir verstehen dich. Die Menschen im Iran lassen einen nicht los …
Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft, Freundschaft, Fürsorge – diese Wertvorstellungen der Iraner ziehen sich wie ein roter Faden durch Eure Erlebnisse!
Allein beim Lesen spüren wir, dass all‘ das, was Euch entgegen gebracht wird, von Herzen kommt!
Noch nie haben wir so herzliche, ja liebevolle, besorgte Menschen kennengelernt, die sich einfach nur über Gäste freuen, und sie in ihrer Familie ganz selbstverständlich aufnehmen.
Wir denken oft darüber nach, dass bei uns so wichtige Werte schon lange verloren gegangen sind; es ist Zeit, etwas zu ändern!
Vielen Dank Euch beiden für die Wunder von Tabriz, die Fotos, die mehr sagen als viele Worte, und die faszinierenden Landschaftsaufnahmen!
„Thank you, Ahmad, for accompanying our friends! We wish you all the best for the future and maybe up to getting to know you in Germany!“
Ja, Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft leben uns derzeit Menschen in anderen Länder vor. Die Botschaft an Ahmad leiten wir gerne weiter – er wird sich noch mehr auf seinen Gegenbesuch freuen. Und was die Fotos angeht: Chrissie hat nicht nur eine gute Kamera, sondern auch ein fantastisches Gespür für die richtigen Motive und Momente!