Go West!
Together – We will go our way
Together – We will leave somedayTogether – your hand in my handTogether – we will make the plans.(Songtext 1979 by Village People)
Eine gepflegte Parklandschaft mit einigen kleinen Museen. Vom Palast aus, der heute ein hochpreisiges Hotel birgt, führt eine schnurgerade Allee fast zwei Kilometer zum Meer hinab.
Aber auch Müll. Am Strand gibt Schnellrestaurants, Minimärkte, jede Menge Picknickplätze – aber Müllcontainer sucht man meist vergebens. Der Sand ist oft fast schwarz – vielleicht die Reste von Ölteppichen, die von Baku aus herübergeschwemmt wurden. Dort standen viele Pumpen schon zu Zeiten der Sowjetunion mitten im Meer und Umweltschutz war noch ein Fremdwort.
„Araber!“, bemerkt Ahmad, als wir mitten in dem Chaos endlich eine Parklücke finden. Aber sein Schmunzeln verrät, dass es sich dabei möglicherweise um eine Schutzbehauptung der Einwohner handelt.
Kaum sind wir wieder „zu Hause“ im Warmen, ist unser Freund wieder in seinem Element. Er will kochen. Mir empfiehlt er – was sonst? „Reinhard, take a shower, take a rest!“
Ahmad jagt sein alte iranische Kiste über die Autobahn. Ab und zu horcht er zur Kontrolle in Richtung Motorraum. Die Karre hat 12 Jahre auf dem Buckel und hätte es verdient, endlich im Autohimmel zu landen. Aber sie hat ursprünglich seiner Frau gehört. „Ich müsste den Wagen erst auf mich ummelden, um ihn zu verkaufen.“ Dass der wahre Grund für den Nichtverkauf möglicherweise woanders liegt, erfahren wir nur einen Satz später, als er sich lächelnd erinnert. „Ich weiß noch, wie sie sich gefreut hat. Dass ihr Name in den Papieren stand … das war eine Riesenüberraschung.“
„Bist du nicht müde?“, frage ich. Immerhin hat er in der letzten Nacht noch lange vor seinem Notebook gesessen und an seinem Roman geschrieben. Chrissie hatte schon mehrfach angeboten, ihn für ein Stündchen abzulösen. Doch Ahmad ist zäh. „Kein Problem! Ich fahre gerne Auto!“ Und ich ergänze in Gedanken: Take a rest.
Warum nicht? Ich mache die Augen zu und wache erst zwanzig Minuten vor dem Ziel auf, als wir einen Pitstopp einlegen. Wenn man in Fuman ist, muss man die köstlichen Koloocheh Cookies kaufen. Chrissie übertreibt wie immer. „10 Stück?“, frage ich. „Bist du sicher, dass du damit auskommst?.“
In diesem Trubel werden wir herzlich begrüßt. Hamed ist noch nicht zu Hause, aber Shah Khanom freut sich für zwei. Mit gekrümmten Rücken eilt sie aus dem Haus, drückt und herzt Chrissie wie eine verlorene Tochter. Und Vater Mehdi? „Der ist hinten im Feld“, übersetzt Ahmad. Kaum ausgesprochen, ist Chrissie schon hinterm Haus verschwunden, um ihn zu suchen.
Ahmad und ich bewundern derweil die wichtigste Neuerung: Hamed hat vor einiger Zeit begonnen, einen Anbau als Gästezimmer zu errichten. Daneben lagert ein Haufen weiterer Hohlblocksteine, aber dafür ist vorerst keine Zeit. Denn sein Projekt, Fremde für den Norden zu interessieren, ist angelaufen: In Fuman hat er eine Gruppe von Touristen untergebracht, denen er die Schönheiten der Umgebung zeigen will. Chrissie und er standen in den letzten vier Monaten immer wieder in Korrespondenz und haben seine Webseite inhaltlich optimiert. Und es hat sich gelohnt. www.Iranorth.com ist übersichtlicher und schöner geworden, es kommen erste Touristen und buchen Kochworkshops und Hiking-Touren. Und die größte Überraschung sehen wir, als Hamed endlich ankommt. Ein wunderschöner weißer Peugeot. Der junge Mann glaubt an seine Sache und ist das finanzielle Risiko eingegangen. Für sich, seine Familie, seine Freunde und sein Dorf.
„Warum nicht?“, frage ich. „Ist doch kein Problem“, sagt Hamed.
Ahmad verzieht wortlos das Gesicht. Ich hake nach: „Magst du es nicht, wenn alle wissen, wohin du gehst?“
Er seufzt und ich verstehe, wie es ihm geht. Fremde Toiletten sind Neuland und man weiß oft nicht, was einen da erwartet. Lieber noch etwas warten – auch wenn’s schmerzt …
Ahmad scheint das genauso zu sehen. So inspiziert er zunächst die brachliegende Baustelle und schlägt den Anbau eines neuen Klos vor: „Guck mal, die nötigen Anschlüsse sind alle hier draußen. Wäre kein Problem für mich. Schade, dass ich immer in Teheran bin …“
Auch sonst gibt es Neues. Hameds Eltern haben nicht nur einen neuen Bullen, sondern auch ein zwei Wochen altes Kälbchen. Hier finden wir Chrissie wieder, die verzückt die Babykuh filmt. Es schaut wirklich herzig aus, die das Kleine über die Wiese rennt, um dann wieder eine Milchmahlzeit bei der wachsamen Mama einnimmt.
Wir schauen gebannt zu. So sieht echte Biowirtschaft aus. Mutter und Kalb werden erst nach einem halben Jahr getrennt. Solange gehört die Milch hauptsächlich dem Kleinen. Selbst ich muss zugeben. Das sind schöne Bilder.
Ahmads Mutter kommt mit einem Eimerchen. „Man muss immer erst das Kalb trinken lassen, sonst wird die Mutter aggressiv.“ Dann melkt sie einen halben Liter für den eigenen Bedarf ab. „Mehr nehmen wir nicht“, sagt sie. „Das Kalb braucht die Milch nötiger.“
Reinhard
Hamed ist nochmal losgefahren, um die Speiseboxen an Bedürftige zu verteilen. Nur Ahmad ist aufgelöst. Als wir gerade losgehen, klingelt sein Telefon. Es ist eine Verwandte. Wir hören sie auch ohne Lautsprecher weinen. „Ihr Ehemann hat sie geschlagen“, erklärt uns der Freund und seine Faust ballt sich. „Sie hatte ihn schon rausgeworfen. Es ist ihr Haus. Aber dann kam er mit seinem Vater. Angeblich, weil sie reden wollten. Doch kaum war die Tür auf ….
Wir sind entsetzt. „Wie schlimm ist es denn?“
„Sie ist jetzt bei der Polizei. Sie hat Anzeige erstattet und ihre blauen Flecken dokumentieren lassen.“
Als ich zurückkomme, grinst er mich wissend an.“
4 thoughts on “Go West!”
Hallo Ihr zwei, beim Lesen eures Berichtes wurde mir klar, dass es eine Gemeinsamkeit zwischen eurer Reise und meiner 43jährigen Dienstzeit gibt. Die vielen Abschiede! Ich habe häufig Behörden, Dienststellen und Verwendungen gewechselt und Routine darin erlangt. Aber beim Abschied von lieb gewordenen Kolleginnen und Kollegen war Routine nicht gefragt.Jeder Einzelne dieser Individuen war etwas Besonderes. Wir haben ein Stück des Weges gemeinsam bewältigt und uns bereichert. Abschied ist nie endgültig, denn es bleiben Kontaktadressen, Telefonnummern, Erinnerungen, kognitive Bilder und Bilder aus Papier.Selbst neue Erlebnisse mit neuen Bekanntschaften und Freunde können die Erinnerungen nicht verdrängen. Mit Herzlichkeit, unvergessenen Handlungen oder einem lieben Wort, haben sich „ehemalige Weggefährte unvergesslich gemacht, was nicht immer nur lustig war. Ihr nehmt auch Abschied, wieder einmal, aber wir freuen uns schon, euch bald begrüßen zu dürfen. Gute Heimreise
Von lieb gewonnenen Menschen Abschied nehmen müssen – diese Erfahrung müssen wohl alle Menschen machen, die keine Eremiten sind. Aber was bleibt wirklich? Auf die Antwort muss man oft lange warten …
„Couchsurfing im Iran“ damit hat Eure Reise durch dieses Land begonnen! Wer hätte das gedacht, welch unvergesslich schöne Erlebnisse, wunderbare Begegnungen mit sehr gastfreundlichen Menschen, ja auch Freundschaften, daraus entstanden sind!
Es hat sich wieder einmal gelohnt, auf Euren neuesten Bericht im Blog zu warten! Wir haben ihn sofort gestern Abend regelrecht verschlungen!
Ahmad, Euer treuer Freund, hat Euch begleitet zum Kaspischen Meer und wieder für eine Wohlfühlatmosphäre und Tage der Entspannung in Ramsar gesorgt. Das Gebot der Nächstenliebe steht für ihn wohl an erster Stelle!
Und dann diese Wiedersehensfreude mit Hamed und seinen Eltern!
Wir sind total beeindruckt, was diese Familie leistet, trotz des harten Alltags glücklich ist und Gutes tut.
Danke für Euer Video mit den herzerfrischenden Szenen vom Bauernhof!
Auch wir wünschen der ganzen Familie Gesundheit und Kraft für die tägliche Arbeit, Hamed gute Erfolge bei seinem Projekt mit der neuen Webseite, immer eine positive Zukunftsperspektive und viele neue umsetzbare Ideen.
Auf dem letzten Foto „together“ sehen wir – trotz Abschiedsstimmung – fröhliche und dankbare Gesichter!
Jetzt geht’s erstmal mit Ahmad weiter!
Danke für den ausführlichen Kommentar! Hameds Familie ist wohl ein gutes Beisiel für viele Menschen, die wir getroffen haben. Auf Grund fehlender Sozialleistungen müssen sie ihr Leben lang malochen – und das oftbis zum Ende. Wir in Europa profitieren dabei oft von unfairen Handelsbedingungen und den Hungerlöhnen in vielen Ländern. Deshalb dürfen wir uns nicht einfach zurücklehnen und unseren Wohlstand genießen. Schön, dass ihr zu denen gehört, die sich engagieren!