„Heißer Kaffee“ für die Kinder
Ich nicke. „Geht klar. Hast du mich auch schon zum nächsten ‚Iron Man‘ angemeldet?“
„Phht“, macht Chrissie. Und ich zucke mit den Schultern. Was soll‘s? Der Ausdruck „höchster Berg“ kann mich nicht mehr allzu tief schrecken. Vor allem nicht, wenn der nur 2565 m hoch ist. Allenfalls eine Erhebung, was auch Wikipedia bestätigt. Was mich schreckt, ist Weg dorthin. Weil Chrissie am Steuer sitzt.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Sie ist eine vorzügliche Pilotin. Aber manchmal verwechselt sie als langjährige Bikerin noch immer einen normalen Miet-PKW mit einer Ducati Rennmaschine.
Das allein wäre auch noch nicht wirklich furchtbar. Aber sie fühlt sich immer unterfordert, wenn sie nicht mindestens zwei Sachen gleichzeitig erledigen kann. Wenn sie im Kochtopf rührt, liest sie gleichzeitig ein Buch und telefoniert. Wenn wir zusammen einen Film ansehen, den sie selbst ausgesucht hat, muss sie unbedingt noch parallel einen gehirnamputierten Hasskommentator auf Facebook zusammenstauchen oder Freundschaftsbande knüpfen. Und beim Autofahren?
Als Navigator hat sie mich schon lange gefeuert. Meine Angaben waren ihr immer zu ungenau. Amateure und Profis sprechen eben nicht immer dieselbe Sprache. Deshalb legt sie ihr Handy mit der Navigations-App lieber auf ihren Schoß. Wenn es lange geradeaus geht, kann ich das noch ertragen. Aber wenn ich neben ihr sitze und einen Meter neben mir ein Abgrund von hundert oder zweihundert Metern sein unersättliches Maul aufreißt …
Also schleppe ich zwei unserer Rucksäcke zu dem grauen Wagen vor der Hoteltür. Guter Service des Vermieters. Aber der Angestellte, der die Kiste vor einer Stunde gebracht hat, liegt bestimmt schon bei seinem Psychiater auf der Couch. Bei der gemeinsamen Prüfung des Zustandes hat er gerade fünf Macken gefunden und auf dem Vordruck angekreuzt, aber Chrissie hat Augen wie ein Falke. Aus fünf Kreuzchen wurden etwa zwanzig. Und danach hat sie noch den Innen- und den Kofferraum checken lassen. Jetzt gibt es bestimmt einen Thai mehr, der deutsche Touristen nicht mehr mag.
Als ersten Spot hat die Chef-Navigateuse den Wat Pha Lat Tempel ausgesucht. Bis wir den Ausgangspunkt zum Mönchstrail gefunden haben, haben wir allerdings schon High Noon – den Moment, in dem Gary Cooper noch mal den Sitz seiner Revolver prüft …
Reinhard macht sich gut. Eine gewisse Lauffäule steckt zwar immer noch in ihm, aber ich höre ihn nicht ein Mal murren. Selbst die Strecken mit den vielen Baumwurzeln oder den Steinen meistert er ohne Stolpern und Fluchen.
Der Wald duftet nach Erde und Laub, Schmetterlinge und Salamander kreuzen unsere Wege, die Luft ist angenehm. Es brummt, summt und tiriliert, als seien wir im tiefsten Urwald.
Nach einer knappen Stunde wächst aus dem Dickicht ein Weg, der von kleinen Figuren gesäumt wird. Vermooste Steinplatten führen nach oben.
Ein Drache schlängelt sich durchs Grün. Darüber und darunter plätschert Wasser am seichten Felsgestein bergab.
„Boah, ist das schön!“, sage ich. Aber ich rede mit der Luft. Reinhard hat weiter oben einen hölzernen Verschlag entdeckt, an dem Kaffee ausgeschenkt wird. Dagegen haben die Natur und der verwunschene Ort keine Chance.
Der Mönchstempel Wat Pha Lat mit all seinem Drumherum entpuppt sich als schönstes Idyll, das wir bisher in Thailand gesehen haben.
An Orten wie diesen entstehen Mythen, Märchen und Legenden. Hierhin flüchten sich Gläubige, Verzweifelte und Liebende. Hier treffen sich Natur, Magie und … ein DHL Fahrer???
Ich klettere die Stufen nach oben bis zu dem Punkt, an dem Reinhards Kaffeesensor ausgeschlagen ist. Ich möchte mir diesen Fremdkörper näher ansehen. Tatsächlich. Ein Mann mit gelb-rotem Shirt händigt einen großen Karton an eine junge Frau mit Kleinkind aus. Fehlt nur noch das Amazon-Logo, denke ich.
Reinhard winkt mir zu. „Willst du auch einen Kaffee?“
Ich setze mich zu ihm auf ein Brett vor der Holzbar und sehe etliche leere Kokosnussschalen auf dem Boden. „Neee!“, antworte ich. Und bestelle bei dem einen Mann hinterm Tresen einen Coconut juice. Während ich den köstlichen, gekühlten und süßen Saft direkt aus der Naturverpackung schlürfe, schauen wir zu, was sich in der geheimnisvollen Kiste verbirgt.
Es sind rote Früchte. Die Frau, die unsere neugierigen Blicke bemerkt, lächelt uns an. „Mangosteen. Wollt ihr mal probieren?“
Sie wartet unser Nicken gar nicht erst ab, sondern schneidet ein Exemplar auf, während sie das Kleinkind zwischen ihre Oberschenkel klemmt.
„Ist das so eine Litschi-Art?“, fragt Reinhard, als der helle Inhalt zum Vorschein kommt.
Sie bejaht. „Manche haben Kerne. Die großen Kerne spuckt ihr aus, die kleinen könnt ihr mitessen.“
Eine Fruchtexplosion! Süß und sauer zugleich. Ich beschließe, dass ich bei nächster Gelegenheit welche kaufen muss.
Die Mutter erklärt uns. „Die kommen von der Farm meiner Schwester. Wir müssen nur 200 Baht für den Versand bezahlen.“
Wir sitzen noch eine Weile und reden. Reinhard ruht länger aus, was mir Gelegenheit gibt, ein paar Schnappschüsse zu machen. Als ich fertig bin und Reinhard vom dritten oder vierten Kaffee loseisen will, eröffnet uns der Budenbetreiber: „Ihr müsst den gleichen Weg wieder zurück?“
„Warum?“
„Der Rest des Weges ist momentan gesperrt. Zu gefährlich.“
Ich bin enttäuscht. Das soll dann die Tageswanderung für heute gewesen sein? 2,5 km hin und 2,5 km zurück. Na toll.
Als ich in das grinsende bärtige Gesicht neben mir blicke, drängt sich mir jedoch eine Frage auf. Haben da an der Kaffeetheke ein paar Baht mehr als nur für Kaffee und Kokosnuss den Besitzer gewechselt?
Was für Straßen! Schon nach einer Stunde Fahrt mit Stops wird uns klar, dass der Nationalpark Zeit braucht. Schneller als 40-50 km/h fährt man selten. Und selbst für solche Geschwindigkeiten muss man streckenweise ein „Daredevil“ sein. Als wir nach einstündiger Fahrt Halt machen, liegt Reinhards Tagesdosis an Kaffee bereits bei 6 Tassen. Meine Anregung, zwischendurch mal einen Schluck Wasser zu trinken, wird verächtlich beiseite geredet. „ich habe heute schon getrunken.“
„Ja, ungefähr 20ml.“
„Kaffee ist auch Flüssigkeit.“
Ich verdrehe die Augen. Wenn es danach ginge, bestünde die Gefahr einer Überhydrierung. Aber wir diskutieren das Thema nicht weiter, denn ich stelle zu meinem Schrecken fest, dass es schon fast 16:00 Uhr ist. Bis nach Chom Thong, wo ich uns für die Nacht eingebucht habe, sind es noch rund 50 km.
„Heute gucken wir uns nicht mehr viel an. In einer Stunde wird es schon dunkel.“
„Siehst du, gut, dass wir nicht die komplette Wanderung gemacht haben.“
„Hatten wir denn eine Wahl?“, frage ich lauernd.
Bärtige Unschuld schaut mich an. „Nein, der Weg war doch gesperrt.“
Eine gute Stunde später biegen wir auf einen Parkplatz ein. Wir sind begeistert, als wir die Unterkünfte sehen. Reisfelder, die im Licht der einbrechenden Dämmerung glänzen. Dazwischen Holzhütten, die durch Bambusstege miteinander verbunden sind.
„Schön!“, sagt Chrissie und ich kann nur zustimmen. Uns reichen eine Holzbank, ein Becher Kaffee und eine Portion Pommes, um uns vom Rauschen des Wassers verzaubern zu lassen.
„Scheiße!“, kreische ich. „Hat der den Arsch auf?“
Fast erwartet man, dass hier gleich Familie Ingalls aus „Unsere kleine Farm“ erscheint. Voller Kaffeegier entern wir die Veranda. Reinhard raunt: „Die haben ne Jura Kaffeemaschine“. Bei einem Brühgetränk, das weiß ich in diesem Moment, wird es hier nicht bleiben. Ich rufe ein freundliches „Hello“ in den offenen Raum.
Ein „Hello“-Echo tönt zurück. Diesen Akzent kenne ich. Eine blonde Frau mit feuchten Haaren und großer Brille auf der Nase dreht sich um und strahlt uns an. Sie sitzt am hintersten Tisch.
„Ach? Was machst du denn hier eigentlich genau?“
Ein etwa 13-jähriges Mädchen lächelt uns entschuldigend an und setzt die Kurze wieder auf ihren Schoß. Wenigstens für 2 Minuten klappt das gut. 😉
Reinhard wirkt nachdenklich. „Woran fehlt es denn am meisten hier?“
Der Heimleiter bedankt sich für Birgits Einsatz. „Wir werden euch sehr vermissen.“
Die älteren Jungs brauchen etwas mehr Animation von Birgits Seite. Man sieht, dass sie alle gern mitmachen würden, sich aber nicht so recht trauen.
Spontan entscheide ich, dass ich schon lange nicht mehr Hopsen war. Zwanzig Minuten später fühle ich mich einerseits wie 10, weil das Ganze so viel Spaß macht, aber andererseits auch wie 60, weil ich nur noch japsen kann. Ich lasse mich wieder zu Reinhard auf die Bank plumpsen.
Einer der Jungs, übernimmt nun mit einem Kumpel den DJ-Job. Jetzt beginnt die Discozeit. Birgit nutzt die Pause auch zum Ausruhen. „Das wird lustig. Die spielen jetzt die lokale Hits.“
9 thoughts on “„Heißer Kaffee“ für die Kinder”
Hi Ihr Lieben,
na, das mit den länger lebenden verheirateten Männern ist nicht unumstritten. Es gibt ernstzunehmende Wissenschaftler, die behaupten, es käme den verheirateten Männern nur so vor… :-))
Ansonsten ist Eure Spendenadresse schon einmal für (spätestens) Weihnachten abgespeichert.
Und Reinhard, keine Sorge: Du glaubst gar nicht, welche Kilometer man, bepackt mit Rucksack, in so bieder-netten Städtchen wie Salzwedel , Wismar oder Schwerin ablaufen kann (von wo wir gerade zurückkamen). Ich hasse das Asphalttreten… Und ein Café suchten wir in Schwerin 2 Stunden lang vergebens. In Rostock hatten sie dafür alle 20 Meter eines (zumindest kam’s mir so vor). Und jetzt droht hier die nächste Saharawelle. Donnerstag sollen’s im Pott 39-40 Grad sein. Schon heute Nacht kann ich nicht mehr pennen, wie Ihr an der Uhrzeit vielleicht seht.
Viel Spaß weiterhin, passt auf Euch auf und bleibt gesund!
LG W (& M)
Salzwedel habe ich noch nie besucht, aber Schwerin und Wismar schon. Stralsund ist noch ein schönes Örtchen zum Pflastertreten – aber das haben wir zum Glück ohne Rucksäcke erledigen können. – Was die Temperaturen angeht, da hat der Ruhrpott Thailand und Myanmar ja schon eingeholt. Selbst das Meerwasser fühlt sich so an, als käme es frisch aus dem Durchlauferhitzer. Nächstes Jahr geht es deshalb „nur“ an die Nordsee.
Männer, Frauen, Arzt – das Thema sparen wir uns lieber für einen Abend beim Bier auf. Auf hoher See oder mitten im Fluss soll man ja besser nicht meutern … 😉
Super! Das ist mal wieder eine „Wanderung“ nach unserem Geschmack!
Wann machen wir die nächste Tour gemeinsam? 😉😉😉 Bis dahin müssen wir wohl noch etwas trainieren, damit wir mit Euch beiden mithalten können!
Natur pur! Wasserfälle, schwierige Straßenverhältnisse, strapazierte
Nerven beim Fahrer und Beifahrer, Geisterfahrer, Kühe am Straßenrand! Oh, Schreck, alles gut gegangen! Und dann: Lust auf einen Kaffee!
Der Weg zum „Hot coffee“ ist beschwerlich! Aber die Mühen haben sich gelohnt! Was für ein Erlebnis! Wir sind total gerührt von diesem Projekt, das sich dieser armen Kinder annimmt!
Die neugierigen Heimkinder, voller Freude und Erwartung auf Besucher, auf ein gemeinsames Kartenspiel, Singen, Tanzen und natürlich die Begeisterung, als Lieder auf der Gitarre gespielt werden! „Wer hat die Kokusnuss geklaut?“
Da schießen uns Tränen in die Augen!
Und Ihr beiden seid mittendrin!
Übrigens, die Frucht Mangostan schmeckt bestimmt fantastisch; würde uns auch interessieren, vielleicht vergleichbar mit Maracuja? Lecker!
Lasst es Euch gut gehen und legt auch mal genügend Pausen ein, um diese Eindrücke zu verarbeiten! Ihr wisst, Eure Freunde und Follower warten immer gespannt auf neue Nachrichten!
Wir freuen uns auf Euren nächsten Bericht und die Fotos!
Viele Grüße nach Südostasien, wo immer Ihr gerade seid!
Danke für eure treue Begleitung unserer Tour! Das „Schönste“ ist ja, dass manche Abenteuer einfach auf uns zukommen, wenn wir gerade anfangen zu glauben, alles Spannende schon erlebt zu haben. Auch Myanmar bietet noch Überraschungen genug. Leider fahren wir oft über zu holprige Straßen oder in zu engen Bussen (manxhmal auch beides gleichzeitig), um unterwegs tippen zu können. Aber noch mehr Technik, z. B. ein Diktiergerät, könnten wir gar nicht mehr mitschleppen – obwohl wir unser Gepäck (so viel als Vorausschau) manchmal unfreiwillig um das eine oder andere halbe Kilo erleixhtern … 😉
Warum musste ich unweigerlich an Chrissi und Reinhard denken, als mir meine beste Eherfrau beim Frühstück die T-Do-Liste des Tages eröffnete? -Spaziergang (ihre Umschreibung für Dauerlauf) um den Stausee, vorher zum Amtsgericht, Zimmer 106 (immerhin besser als Zelle 106), einkaufen im Bio-Markt mit dem Rentner-Trolley (der Begriff Playmarket-Trolley gefällt mir besser, sieht aber genau so besch……. aus), kurzes Sonnenbad bei 38 Grad und dann aufräumen (sie hat gesagt „abkühlen“) im Keller.
Chrissis To-Do-Liste für Reinhard ist noch anspruchsvoller. Manche Leute sammeln Briefmarken, Münzen, Oldtimer oder was weiß denn ich. Chrissi sammelt: Bergspitzen, Abgründe (wie viele Synonyme/Möglichkeiten sich allein damit verbinden lassen?!), Wasserfälle, Mautstellen, Tempel,Schlaglöcher und Kilometer. Und Reinhard sammelt, mit wechselnden Schwerpunkten, fleißig mit. Immer getragen von der Hoffnung, die tragenden Säulen seiner Sammlung, urige Kaffeebuden, Nikotin -und Ruhe-Oasen mögen Reinhads Pfade nicht verlassen. Wir drücken die Daumen! Liebe Grüße aus Bochum.
Haha, Manfred,
Das hat wieder Spaß gemacht, dich zu lesen. Und herzliche Grüße an die Gattin, die ich zwar (noch) nicht kenne, die mir aber jetzt schon sympathisch ist.
🙂
Ein wenig Verzweiflung meinte ich aus deinen Ausführungen herausgelesen zu haben. Tröstet es dich, wenn ich auf eine Studie verweise, die belegt, dass verheiratete Männer länger leben? Sollten Reinhard und du nicht schon längst Überzeugungstäter sein, könntet ihr im er noch eine Selbsthilfegruppe gründen. Bei der Namensfindung vertraue ich ganz auf eure kreativen Kräfte.
Seid herzlichst gegrüßt. (aus Pyay)
Chrissie, die Selbsthilfegruppe hat sich schon längst gebildet. Allerdings müssen Manfred, Herbert und ich noch vier Leidensgenossen finden, damit wir uns als Verein eintragen lassen und die Anerkennung als gemeinnützig beantragen können …😉
Jau, die -Freiwillige Vereinigung- besteht schon. Für Interessenten: es gibt freien individuellen Zutritt für jeden, der unsere Z i e l e akzeptiert.
In diesem Zusammenhang; eine Frage an die Mitglieder:
wird g e m e i n nützig in unserem Fall wirklich zusammengeschrieben?
Ein Mitglied
Au, weia! Eine echte Knobelaufgabe – und das nach einem heißen Tag beim zweiten Cocktail auf der Dachterrasse „unseres“ Hotels! Vielleicht lösen wir den Begriff einfach in seine Bestandteile auf. „Gemein und nützlich“ – oder „nützlich, aber gemein“. Was gefällt dir besser? 😉