Stadt der Affen
Reinhard
Ich nicke und unsere Hotelchefin in Bangkok verzieht das Gesicht. Schadenfreude? Spott? Mitleid? Ich kann es nicht deuten. Vielleicht von allem etwas. Denn Lopburi gilt als Monkey-City, die Affenstadt. Warum – das erzähle ich gleich.
Für drei Stunden Fahrt lohnt es nicht, einen Luxusbus zu suchen. Diese Strecken werden von einer Armada von Kleintransportern bedient, die als Sammeltaxis fungieren. Sobald acht oder zehn Leute – je nach der Menge an Gepäck – eingestiegen sind, klettert der Fahrer hinter das Lenkrad und knüppelt los.
Geredet wird nicht. Und wenn der Pilot mal stoppt und aussteigt, weiß man nie, wie lange die Pause dauert. Kann man auch mal pinkeln gehen? Reicht die Zeit für eine Zigarette? Ohne Risiko kein Vergnügen.
Chrissie und ich werden in die erste Reihe hinter dem Fahrer geschickt. Im Einstiegsbereich liegt eine große Styroporkiste. Mit Rucksack über sie hinwegzuklettern, ohne Löcher hineinzubrechen, ist schon eine artistische Leistung. Die kleinen Rucksäcke kommen zwischen die Beine, einer von den großen liegt halb auf meinen Knien, halb auf der Konsole zwischen Fahrer und Beifahrer. Der andere verschwindet irgendwo hinten und ärgert die später Kommenden.
Zuletzt quält sich eine nicht allzu schlanke Dame in den Fünfzigern über die mysteriöse Kiste im Eingangsbereich und quetscht sich mit ihren sechs prall gefüllten Tüten neben mich. Kaum sitzt sie, zeigt sie uns stolz ihre Einkäufe: In einer Plastiktüte leiden zwei Krebse mit verbundenen Zangen ihrem Tod entgegen. Arme Viecher.
Den letzten Obstkern kann Madame direkt auf die Staße spucken. Unser Kleinbus hält in einer Tankstelleneinfahrt hinter einem schwarzen PKW. Eine junge Frau steigt aus und holt sich die Styroporbox ab. Ein Geldschein wechselt den Besitzer. Die Frau hat ihre Geldbörse noch nicht wieder weggesteckt, da gibt unser Fahrer erneut Gas.
Die Einfahrt nach Lopburi verrät: Wir sind in der Provinz. Nicht besonders schön, nicht besonders hässlich. Mehrere Fahrgäste steigen schon auf der Zufahrtsstraße aus, wir werden auf einem Marktplatz rausgeschmissen, der an einem riesigen Kreisverkehr liegt. Finden eine Bude, an der es Kaffee gibt, fragen, wie wir weiterkommen. Taxi? Wir suchen ein Grabtaxi. Gibt es hier aber nicht, wie unsere App verrät. Die Tochter des Budenbesitzers spricht leidlich Englisch und übersetzt freundlicherweise. Der Papa fackelt nicht lange und schwingt sich auf seinen Motorroller. „Was passiert denn jetzt?“
Es steigt ein Typ ab, dem Chrissie sofort eine Hauptrolle in einem Film geben möchte: Baron Lefuet im thailändischen Remake von Timm Thaler. Aktuell hat er aber noch niemandem sein Lachen abgekauft. Das versucht er nun bei uns. Wir starren auf drei kitschig vergoldete Ketten mit Buddhafiguren, die an seinem Hals baumeln.
„Aber es sind nur drei km“, wendet Chrissie ein, die noch an ein Missverständnis zu glauben scheint.
Er nickt.
„Für 200 Bath können wir eine halbe Stunde lang durch Bangkok fahren“, sage ich.
„200 Bath!“ Seine Lippen verziehen sich zu einem Strich, aber seine Augen funkeln. So muss die Frau aus Bus in die Plastiktüte gespinxt haben, als man ihr die Krebse überreicht hat. Ihr entkommt mir nicht, soll das wohl heißen.
Chrissie und ich wechseln einen Blick und verstehen. Die organisierten Taxifahrer bilden eine Art brüderliche Gemeinschaft gegen die Preisdrücker. Aus Gewerkschaftssicht voll in Ordnung. Aber muss man gleich Puffpreise für eine Kurzstrecke verlangen? Cartoon zuckt entschuldigend mit den Schultern. Es scheint ihr peinlich zu sein, aber sie kann ja nichts dafür. Chrissie bedankt sich artig bei ihr und ihrem Vater.
„Wir laufen.“
3 km mit Gepäck? Machen mir keine Angst mehr! Wir schultern unsere Rucksäcke und ziehen los. Ganz schön heiß auf den Straßen. Aber „unser“ Bungalowpark liegt etwas außerhalb im Grünen. Gepflegte Anlage, freundlicher Empfang. Unterkunft mit Klimaanlage, schönem Bad und kleinem Balkon. Das Geländer ist ein prima Ersatz für eine Wäscheleine. Sitzgruppen unter Palmen mit einem Warnschild: „Vorsicht! Herabfallende Früchte.“ Gut, dass es sich nicht um Kokospalmen handelt.
Kaffee draußen. Vögel zwitschern, Grillen zirpen, Schmetterlinge schweben vorbei. Aber wo sind die Affen? Bisher haben wir noch keinen gesehen.
„Nimm einen eigenen!“, empfiehlt Chrissie. „Du musst doch nur hinter mir herfahren!“
Nix da. Ich habe das vor Jahren mal in Indonesien versucht. Linksverkehr in einer Nebenstraße geübt. Bei der ersten Kreuzung drohte mir schon der Heldentod.
„Dann musst du hinten drauf!“
Seufzend setze ich einen Helm auf, zögere aber noch. In Indonesien waren wir in den Dörfern eine Sensation: Frau am Steuer, Mann hinten drauf? Geht dort gar nicht. Aber das war mir egal. Nicht egal war es mir aber, dass es mir auf dem Rücksitz beschissen ging. Ich hatte das Gefühl, dass meine Ohren zwischen den Knien klemmten. Eine Strapaze für Geläuf, Gesäß und Gemächt.
„Mach schon! Dieser Roller ist deutlich größer als der vietnamesische!“
Stimmt. Aber kaum sitze ich, reißt es mir wieder die Backen auseinander. Auch die Muskeln im Oberschenkel schreien auf. Yoga ist nicht mein Ding. Affe auf Schleifstein auch nicht, aber so sehe ich nun wohl aus.
Mit zwei Erholungspausen für den Leidenden schaffen wir es bis weit vor die Stadt. Das Ziel sind viel gerühmte Sonnenblumenfelder. Doch die sind abgeerntet. Statt dessen fährt da gerade eine Kolonne grüner LKWs auf.
Die Mannschaften sitzen ab, sortieren sich, üben gemeinsam Laufschritt im Zeitlupentempo – hirnloser Drill, der aber den zahlreichen Zuschauern auf der Straße gefällt. Es gibt eine Art Appell – und dann löst sich der Verband auf.
Die jungen Soldatinnen und Soldaten streben zu wartenden Verwandten und zu den fliegenden Händlern, die mit Getränken und Speisen aufwarten. Kein Küchenwagen dabei? Geht gar nicht, finde ich. Bei der Bundeswehr hätten sie uns selbst in der Ausbildungskompanie mit einem Süppchen versorgt. Aber was ist hier los?
Ich spreche einige der Soldaten an. Einer kann gut Englisch. Das Fallschirmjägerabzeichen auf der Brust, ein Balken an der Schulter.
Er erklärt, dass diese Kompanie das Ende ihrer Ausbildung feiert. Ich frage nach seinem Dienstgrad. Die Übersetzungs-App sagt „Corporal“. Feldwebel?, frage ich mich? Verdammt jung. Ob ich auch Soldat war?
Klar, Wehrpflicht, 50 Jahre her.
Ob’s mir Spaß gemacht hat?
„Nein. Aber es war eine wichtige Erfahrung.“
Chrissie kommt mit drei Flaschen Cola. Der Soldat zögert, dann nimmt er an. Wir reden noch ein paar Worte, wollen ihm aber nicht die ganze Pause klauen. Freundlicher Abschied.
„Die Thais sind wirklich verrückt“, sagt Chrissie und hält ihre Colaflasche hoch. „Der Verkäufer hat den Inhalt zuerst in eine Plastiktüte geschüttet, einen Strohhalm reingesteckt und wollte mir das Zeug so verkaufen …“
Wir bringen die leeren Flaschen zurück und steigen wieder aufs Moped, fahren einen Kilometer weiter – und dann sehen wir sie. Eine große Gruppe Affen turnt auf dem Weg und in dem Gehölz zu beiden Seiten herum. Chrissie ist begeistert und filmt. Minibabys klammern sich an ihre Affenmamas, man sucht Nahrung, spielt mit herumliegenden Holzstückchen, die Halbstarken fechten kleine Kämpfe aus.
Angst vor uns? Nicht wirklich. Aber eine gesunde Vorsicht lassen sie schon walten. Vielleicht waren die Berichte einiger Leute doch etwas übertrieben. Wir freuen uns über die friedliche Begegnung und ziehen weiter. War’s das also schon?
Mitnichten! Nach einer angenehmen Pause an einem Stausee fahren wir zurück in die Stadt.
Die größte Sehenswürdigkeit ist eine Tempelruine aus der Khmer-Zeit: Prang Sam Yod, gleich neben der Altstadt.
Aber Vorsicht! Hier beten keine Gläubigen mehr – sondern etliche Touristen darum, nicht den Schokoriegel oder gar den Fotoapparat zu verlieren. Die Ruine und das Umfeld gehören nämlich längst den Makaken. Natürliche Nahrungsquellen gibt es auf dem Gelände nicht. Die Tiere leben von dem, was die Menschen ihnen geben oder was sie von denen erbeuten können. Aus diesem Grund tragen wir heute trotz der Bullenhitze unsere neuen Regenjacken, die wir in Bangkok erworben haben. Nur für den Fall der Fälle, dass wir mit Bäumen verwechselt werden. Der verfallene Tempel fasziniert mich. Gern würde ich das Gelände betreten und Fotos machen.
Wir stehen direkt am Eingang. Aber Reinhard hält mich auf. „Sollen wir uns das wirklich antun?“
„Hör auf!“, rufe ich ihm zu. „Wer ein Äffchen verletzt, wird mit dem Tode bestraft!“
Endlich lässt der Affe von Reinhard ab. „Die spinnen, die Thais“, rutscht es keuchend aus ihm (dem Reinhard) heraus.
„War auch nur ein Scherz!“, sage ich grinsend. „Aber eine Geldstrafe wäre dir bestimmt sicher.“
Der einzige Mensch, der vor unseren Augen echte Tierliebe zeigt, ist ein buddhistischer Mönch. Er hat einen Plastikbeutel mit Obst- und Gemüseresten sowie eine beträchtliche Menge frischer Gurken mitgebracht, die er auf einem Haufen ausschüttet. Die Tüte lässt er leider auch liegen.
Viel los ist da nicht mehr: Pro Stunde fahren auf den drei Gleisen kaum mehr als fünf oder sechs Züge ein und aus. Aber es gibt einen Fahrkartenschalter mit zwei hilfsbereiten Angestellten, einen schönen Wartesaal, auf dem Hauptbahnsteig ein paar Garküchen und Getränkestände sowie Reinigungskräfte, die unermüdlich mit Feudel und Kehrblech unterwegs sind.
Die zumindest zweitwichtigste Person ist ein freundlicher Stationsvorsteher in Uniform, der einen gesonderten Arbeitsplatz neben Gleis 1 hat.
Als wir ihn hinter seinem Schreibtisch fotografieren, springt er auf, setzt seine Dienstmütze auf und greift stolz nach dem Klöppel der Glocke, mit der er stets den nächsten Zug ankündigt.
Danach wartet er mit einer roten und einer grünen Flagge an der Bahnsteigkante, um dem Lokführer die nötigen Signale zu geben – unter Aufsicht eines schneidigen Offiziers in Armeeuniform.
Ganz aus der Zeit gefallen ist der Bahnhof nicht. Es gibt elektronische Anzeigen der Zugbewegungen, einen riesigen Monitor mit Spielfilmen für die Wartenden und Lautsprecherdurchsagen, die allerdings nur die Einheimischen verstehen können.
3 thoughts on “Stadt der Affen”
“Die Uniform verschafft Respekt, egal wer auch da drinnen steckt” Das wusste schon Wilhelm Voigt, der am 16. Oktober 1906 eine Gruppe von zehn Soldaten der Berliner Garnison unter seinen Befehl..stellte, nach dem er sich eine gebrauchte Hauptmanns-Uniform verschafft hatte, die ihm Autorität gab. Der Rest ist bekannt.
Daran musste ich denken, als ich die Bilder vom uniformierten Stationsvorsteher von Lopburi sah. Zuletzt befasste ich mich mit dem Thema beim Aufmarsch der Maischützen in Harpen. Orden, Ehrenzeichen, Schützenschnur und Mütze in blau/weiß. Mensch was war ich neidisch. Worauf? Na, schaut Euch doch mal eine Polizeiuniform an. Selbst die von Modeschöpfer Oestergaard in den 80er Jahren entworfene Uniform, präsentiert mit dem Slogan: „Mode für Prostituierte und Polizisten“, wirkt dagegen eintönig und wenig autoritätsfördernd.
Aber die Maischützentracht wird von dem Stationsvorsteher auf euren Bildern überflügelt. Das ist eine Uniform! Mit der hätte Wilhelm Voigt sogar den Kaiser verhaften können oder ich die Angie. Die zittert schon vor Angst.
Vergessen wir mal die aufgeblasenen Gockel der Schützenvereine – für sie ist die Phantasieuniform wohl eher die Erlaubnis, sich öffentlich betrinken zu können. Anders der Hauptmann von Köpenick. Er war, meine ich, ein würdiger Nachfolger von Till Eulenspiegel und Simplicius Simplicissimus – ab und zu braucht „die Gesellschaft“ Leute, die ihr auf drastische Weise den Spiegel vorhalten.
Unser Bahnhofsbeamter symbolisiert etwas anderes. Viele Länder in Asien haben offenbar Probleme bei der Bereitstellung von Arbeitsplätzen. Anders kann ich mir die große Zahl von uniformierten Security-Leuten in Hotels oder Kaufhäusern nicht erklären. Mit diesen Jobs kann man sicher nicht reich werden,aber man hat eine Aufgabe und einen geregelten Ablauf der Woche. Gleiches gilt wohl für den Glöckner von Lopburi: Job und Uniform geben ihm seine Würde zurück. Wir fanden den gewissenhaften und stolzen Mann toll!
Lopburi, Tempel und Begegnungen mit Menschen und Tieren! Ihr müsst einiges über Euch ergehen lassen und seid sehr mutig! Wir denken dabei an die hungrige Busnachbarin und an die sehr „anhänglichen“ Javaneraffen!
Wenn wir uns das vorstellen bzw. das Video sehen, wird uns ganz anders zumute! Ist bestimmt nicht so leicht, bei diesen „Kontakten“ einigermaßen ruhig zu bleiben!
Eigentlich können einem diese Affen, die in Mengen die Stadt bevölkern, leid tun.
Sie wären sicherlich im Urwald besser aufgehoben!
Gefallen hat uns Euer Besuch des alten Bahnhofs, den Reinhard so trefflich beschrieben hat.
Nette Episode mit dem freundlichen „Glockenmann“!
Macht es gut, kommt sicher an Eurem nächsten Ziel an!