Auf zur Semperoper
Reinhard:
„Wie heißt das Drecksloch nochmal, wo wir jetzt hinfahren?“
„Semporna.“
„Wie?“
Chrissie rollt mit den Augen. „Boah, zum dritten Mal. Semporna! Denk einfach an die Semperoper und an Pornos.“
Ich grinse. „Sag das doch gleich. DAS kann ich mir merken.“
Die Begeisterung für den nächsten Punkt auf der Route hält sich bei uns beiden in Grenzen. Über Semporna kann man vieles lesen. Bekannt ist die Stadt vor allem, weil sie – darin sind sich alle einig – ein toller Ausgangspunkt ist. Von hier aus kann man von Insel zu Insel hoppen, baden, schnorcheln oder einen Tauchlerngang machen. Klingt erstmal gut, aber uns ist etwas anders im Gedächtnis geblieben. Wir lesen von stinkenden Müllbergen in den Straßen, von Ratten mit fetten Bäuchen und Einheimischen, die Plastik, Pampers und Pansen im Meer entsorgen. Die Stadt gilt als dreckigster Ort von ganz Sabah. Muss man das haben?
Die Idee kam von Jack und Emily. Ja, sie hätten auch davon gehört. Aber es ginge ja nicht um Semporna. Das Schnorcheln soll grandios sein. Bekannte haben unendlich viele Schildkröten, wunderschöne, bunte Korallenriffe und die exotischsten Fische, die man sich vorstellen könne, gesehen. Trauminseln, glasklares Wasser und Sonnenuntergänge, die man auf Poster drucken müsste. Wie kann man dazu nein sagen? Vor allem, wenn a) die Aussicht auf ein Wiedersehen mit zwei netten Leuten besteht und b) wir keine bessere Idee haben, wo wir als nächstes hinfahren sollen. Die politische Dreiteilung Borneos verhindert nämlich, dass man einfach so ans andere Inselende fährt. Zumindest, wenn man keine Visa für Brunei und Indonesien vorweisen kann. Ja, und dann liest Chrissie mir noch lachend aus einem Zeitungsartikel vor. „Du, die scheinen ihr Müllproblem doch noch in den Griff zu kriegen.“
“Wie das?“
“Die haben einen genialen neuen Bürgermeister. Hammer.“
“Sag schon.“
“Wer heute in Semporna beim Müllwegwerfen erwischt wird, muss entweder ein sehr hohes Strafgeld zahlen …“
“Was vermutlich kaum jemand bezahlen kann?“
“Genau. Deshalb müssen sie zwei Stunden Müll aufsammeln. Aber nicht einfach nur so. Dazu müssen sie eine gelbe Weste tragen. Da ist hinten ein Affe abgebildet und ein Text. Collecting rubbish for charity. Cool, oder?“ (Quelle: http://timahnews.com/semporna-litterbugs-to-continue-wearing-special-monkey-vests-despite-critics/)
Finde ich auch. Also gut. Auf nach Semporna!
Auf unserem Kurs wird kräftig gebaggert und gewalzt, damit die schmale Landstraße sich in eine Autobahn verwandeln kann. An den Seiten bleibt genug Platz, um noch Läden und Parkplätze anzulegen. Aber vorerst müssen die wenigen Anwohner noch eine Menge Staub schlucken, bis der aufgerissene gelbe Boden einen festen Belag bekommen hat.
Der Bus hat seine besten Tage hinter sich. Zerschlissene Sitze und auf den holprigen Abschnitten ächzen die Federn. Der geschickte junge Fahrer kommt bergauf beim Schalten nicht ohne kräftiges Zwischengas aus. Vielleicht warten die Busunternehmen ja auf den Tag, an dem sie gefahrlos moderne Fahrzeuge einsetzen können. Bis dahin würde mein Rückendoc mir sicher davon abraten, meine Knochen nochmal so zu malträtieren.
Die Bilder vor den Fenstern sind auch nicht dazu angetan, unsere Laune zu verbessern. Palmen, Palmen, Palmen. Wie viel Urwald ist hier einfach weggesägt worden! Wieviele seltene Tiere sind hier vertrieben worden! Und wofür? Für E10 Sprit und Margarine mit ungesunden gehärteten Fetten. Mal sehen, wie weit das noch getrieben wird, wenn Merkel und Co. ihr Mercosur-Freihandelsabkommen durchbringen. Besonders der brasilianische Jair Bolsonaro ist ja nicht gerade als Freund der Bäume bekannt.
Einziger Trost in diesem Bus ist die Musik des Bordradios. Rock und Heavy Metal vom Feinsten! Endlich dürfen sich mal andere Passagiere über das Programm zu ärgern.
Es ist schon dunkel, als der Bus durch Semporna rollt. Lichterketten im Hafen und bunte Laternen auf dem Nachtmarkt verheißen eine lebendige Stadt. Das Terminal liegt aber ein wenig abseits. Chrissie bestellt ein Grabtaxi, dessen Fahrer uns recht schnell findet. Er ist sogar so freundlich, von seinem Platz aus den Kofferraumdeckel zu öffnen, damit wir unsere Rucksäcke verstauen können. Motto: Meine Passagiere bleiben fit!
Dann lässt er sich nochmal die Adresse unseres Hotels zeigen. Eigentlich müsste sie bereits auf seinem Smartphone zu sehen sein, aber aus irgendeinem Grund klappt das nicht. Doch nach einem Blick auf Chrissies Handy nickt er und fährt los. 12 Kilometer – in 15 Minuten müssten wir da sein.
„Mann, mein Magen hängt schon durch“, sagt Chrissie und in ihren Augen ist dieser Ausdruck, den man besser nicht ignoriert. „Wir sind ja gleich da“, sage ich hastig. „Da wird es mit Sicherheit noch ein nettes Lokal geben …“
„Hoffentlich. Mir ist schon fast schlecht.“
Nach rund zehn Minuten fällt uns auf, dass der gute Mann ins Nichts fährt. Keine Lichter am Straßenrand, etliche Fahrzeuge kommen uns entgegen – in unsere Richtung aber will niemand.
„Ich hol dann schon mal das Messer raus“, sagt Chrissie.
„Weil er uns in eine abgelegene Gegend fährt?“
„Nein, weil heute nicht Montag ist.“
Ich muss lachen, weil ich die Anspielung sofort verstehe (siehe Wir töten keine Taxifahrer)
Aber ganz sicher bin ich nicht, dass es nur Chrissies Galgenhumor ist. Ihr wisst schon: Wenn sie Hunger hat . . .
„Sind Sie sicher, dass wir auf dem richtigen Weg?“, fragt sie zuckersüß.
Der junge Malaye blickt auf sein Handy und nickt. Ich beuge mich von meinem rückwärtigen Platz, sehe auf seinem Display aber nur eine Landkarte, auf der sich nix bewegt.
Dann entdeckt der gute Mann an einer Bushaltestelle zwei Jungs. Er stoppt, steigt aus, gestikuliert. Wie das so ist: Der eine zeigt in Richtung Nordpol, der andere in Richtung Antarktis.
Der Taxi-Pilot kehrt zurück fährt verbissen weiter ins Nirwana. Chrissie hat die Faxen dicke und schaltet ihre Navi ein. „Scheiße, wir sind völlig auf dem falschen Dampfer.“
Wir erreichen eine Straßenkreuzung. Unsere Navi zeigt nach links, er fährt rechts. „You are wrong!“, schreie ich.
„Lass gut sein, Reinhard“, beschwichtigt sie mich und sagt so freundlich und artikuliert, dass ich Angst kriege: „Please. Look at my Navigation!“
Er nickt, hält an. Aber anstatt auf die Route zu schauen, die Chrissie ihm hinhält, steigt er wieder aus zu einem neuen Interviewpartner. Ein Raucher, der vor einer Gaststätte steht. Sein Finger zeigt nach Osten, unsere Routenplanung nach Westen. In gebrochenem Englisch teilt der Kutscher uns mit, dass er lieber nach Osten fahren möchte. „Oh, aber bitte sehr“, flötet Chrissie. „Wir haben Zeit. Sie auch? Wir können das die ganze Nacht so weitermachen.“
Nun endlich ist er bereit, sich Chrissies Navi anzusehen. Mit unbewegtem Gesicht studiert er die Karte und nickt. Jetzt müsste er wenden, tut’s aber nicht. „Hallo! Das ist der falsche Weg.“ Sie klingt so leise und sanftmütig, als brächte sie es nicht mal fertig, eine Gurke zu zerschneiden. So hat sie mich noch nie korrigiert. Merkwürdigerweise bringt er den Wagen zum Stehen. Wieder blickt er aufs Navi. Aber kein Geistesblitz erhellt das Fahrzeuginnere.
Chrissie übernimmt das Kommando. Alles sieht gut aus. Wir nähern uns dem Ziel. Wir müssen nur noch 2x dicht hintereinander rechts abbiegen, dann sind wir da. 200 Meter vor der Abbiegung sagt Chrissie „next, turn right.“ Sie wiederholt es und zeugt nach rechts. Doch Mister Beratungsresistenz fährt weiter. Der Schrei vom Beifahrersitz fährt mir durch Mark und Bein. „STOP!!!!“
Er hält an. Chrissie hält ihm das iPad unter die Nase. „Turn. PLEASE.“
Er nickt. Wendet. Fährt zum zweiten Mal an der Straße vorbei. Ich bin kurz davor auszurasten – aber der Graben neben der Straße sieht recht tief aus.
Unser Navigationsgenie steuert nun in eine Siedlung für bessere Leute – großer Bogen um das Ziel. Aber dann geht’s gar nicht weiter. Weder vorwärts noch zurück.
Hinter uns hält ein dicker Wagen und blendet die Scheinwerfer auf – offenbar versperren wir eine Grundstückseinfahrt. Mr. Grab steigt erneut aus und interviewt den Fahrer des SUV. Und der zeigt auf eine kaum sichtbare Lücke zwischen zwei Zäunen, durch die Reifenspuren ins Unsichtbare führen …
Eine S-Kurve und 50 Meter gerade Strecke weiter stehen wir endlich vor unserem Hotel. Eine Stunde und zehn Minuten nach unserem Start – jeder geübte Langstreckler hätte uns im Stadion mehrfach überrundet.
Als wir endlich unser Gepäck aufnehmen, streckt der Mann die Hand aus. Er möchte Bargeld sehen.
„Netter Versuch“, zischt Chrissie ihm zu. Denn die Fahrt ist längst mit der hinterlegten Kreditkarte bezahlt. Offenbar fällt ihm das nun auch wieder ein – zumindest fährt er ohne Protest davon.
Der Supermarkt, von dem wir geträumt haben, ist inzwischen längst geschlossen. Oben im Hotel erwartet uns ein schlichtes Zimmer, kaum größer als eine Zwei-Mann-Zelle in der Bochumer Krümmede. Und statt eines knackigen Salats in einem lauschigen Restaurant gibt es nur noch Instant-Nudelsuppen aus dem Supermarkt, die wir auf unseren Pritschen löffeln müssen.
Die Nachtwache in der Rezeption, ein junger Kerl mit geringen Englischkenntnissen, hilft uns mit heißem Wasser weiter. Lecker ist etwas anderes. Und als Dank schnorrt er von mir noch zwei Zigaretten aus der fast leeren Schachtel.
Und ich denke: Semporna – so wird das nix mit uns beiden.
Chrissie
Was ich denke, als ich zwei Tage später folgenschwer auf einer Urinpfütze ausrutsche …
Das und vieles mehr erfahrt ihr morgen in unserem Teil 2 über Semporna.
3 thoughts on “Auf zur Semperoper”
Ja, Ihr Lieben, der Sommer bei uns ist die Zeit der OpenAir Festivals! Wir sind immer bestens informiert durch unseren Sohn, Heavy Metal und ähnliches in Berlin Spandau, Münster, Würzburg etc., wir kommen so langsam nicht mehr nach! 😉 Schön, dass Ihr auch auf Weltreise etwas von dieser Musik mitbekommt!
PS: Wir sitzen gerade auf dem Balkon und hören über Internet das Inselradio Mallorca! Das ist voll unser Geschmack!
Weiterhin viel Spaß!
Hihi, einfach mal gemeinsam den head bangen lassen 😉
Schöne Grüße umbekannterweise an den Sohn. 🤘🤘🤘
Hallo, Ihr Lieben! Das ist ja mal wieder spannend! Es geht doch nichts über ein eigenes Navigationssystem! Endlich angekommen in Semporna! Diese Stadt soll ja das Tor zu wunderschönen Inseln sein, haben wir gelesen! 😉😉 Nun warten wir auf Teil 2 und senden viele Grüße!