Wir töten keine Taxifahrer
Christiane:
Erst nach einem Frühstück auf der fabelhaften Terrasse der Plantagen-Unterkunft erkenne ich wieder Tatendrang in Reinhards Gesicht. „Und? Was machen wir heute?“, fragt er nach. „Hot Poring Springs“, antworte ich. „Ist nicht weit weg von hier. Heiße Quellen, einen Schmetterlingsgarten und die größte Blume der Welt gibt es auch in der Nähe.“
„Aber wir schlafen woanders, oder?“
„Klar. Ranau Backpackers. Schon gebucht. Zimmer mit eigenem Bad.“
Reinhard brummt zufrieden und um 09:00 Uhr sitzen wir schon im Auto und folgen der Route, die unsere Maps.Me App vorschlägt. Das klappt erstmal gut, bis wir rechts abbiegen sollen.
Eigentlich hätten beim Anblick des schmalen Abzweigs von der Hauptstraße alle Alarmglocken schrillen müssen. Wie lange ist es her, dass wir in Jordanien im Schlamm stecken geblieben sind, als wir einem solchen Abzweig folgten? Uns kommt es vor wie Jahrzehnte. Wer springt nach solch langer Zeit nicht gern lachend ein zweites Mal in die Klinge?
Am Anfang sind wir begeistert von der tropischen Vegetation links und rechts.
Aber die Straße wird immer schmaler. Kommen da überhaupt zwei Auto aneinander vorbei? Neun Kilometer noch, zeigt die App. Okay. Dann stehen wir vor einem schwarzem SUV. Wir haben Glück. Der Fahrer begreift sofort, welches Auto in einen Graben fahren kann und welches nicht. Mein ungutes Gefühl verstärkt sich. Die Straße verwandelt sich in einen Schotterweg namens „Reifenhändler’s Dream“ – selbstverständlich mit Deppenapostroph, denn als Deppen sind wir ja gern unterwegs.
Linksseitig sehe ich ein Holzhaus mit kleinem verwilderten Vorgarten, von dem aus eine alte Frau zu uns herüber blickt. Ihr Gesicht gleicht einem Fragezeichen. Ich winke ihr freundlich zu, frage mich aber gleichzeitig, ob sie noch nie Touristen gesehen hat. Immerhin ist das doch der Weg zu einer nicht unbekannten Sehenswürdigkeit …
Nur 200 Meter weiter verwandelt sich mein Gesicht in ein Ausrufungszeichen. Ein rotes! Weiter vorn geht unsere Straße bergauf weiter. Aber warum kreuzt ein Bach die Straße? Kein Bächlein jetzt. Ein erwachsener Bach. Mit dickem Wackersteinen, über die das Wasser plätschert.
Wir brauchen gar nicht darüber nachdenken, ob das eine Option für unseren malayischen Proton ist. Die Auffahrt zum Sabah Teagarden war schon eine Herausforderung für den Automatikwagen.
Gemeinsam schauen wir uns die Karte an. Dann den realen Weg. Sechs Kilometer sollen es noch sein. Sowas Blödes. So kurz vorm Ziel die ganze Strecke wieder zurück? Reinhard zeigt nach rechts. „Vielleicht müssen wir da rauf?“
Ich schaue in die Richtung der noch steinigeren und noch schmaleren Auffahrt. „Okay, wir können ja mal gucken.“
Bllöde Idee. Saublöde Idee. Nach knapp einem Kilometer sehe ich in der App, dass erstens die Richtung nicht stimmt und zweitens die Straße zu einem Trampelpfad verkümmert. Links und rechts des Wegs Gräben. Was sonst?
„Wir müssen drehen“, sagt Reinhard.
„Ach was?“, frage ich gereizt zurück. „Und wo?“
„Fahr doch noch ein Stück weiter. Vielleicht ist da ja …“
„Nix da“, sage ich. „Ich fahre rückwärts. Ist so schon schlimm genug.“
Ist es. Ich kann nämlich vieles, aber eines nicht: rückwärts fahren. Schon gar nicht in einem Wagen mit Rechtslenker und auf dieser Miststecke. Dies ist einer der Momente, an denen ich gern alle Verantwortung abgeben möchte.
Warum? Keine Ahnung. Eine Pause würde mir in diesem Moment sicher auch gut tun. Vielleicht brauche ich aber auch einfach eine Umarmung. Du Pussy, würde meine beste Freundin Uschi jetzt sagen. Aber sie ist nicht da, um mich moralisch aufzubauen. Und Reinhard erkennt nicht, was los ist. So fahre ich völlig fertig und frustriert rückwärts auf ein kleines Rasenstück und wende. Als ich ohne Rücksicht auf die Reifen am Haus der alten Frau vorbeibrettere, gönne ich ihr keinen Blick mehr. Die hätte ja mal was sagen können. Böse Alte, böse Straße, böser Bach, böser Reinhard, denke ich. Und als ich endlich auf die Hauptstraße abbiege, um die korrekte Route einzuschlagen, denke ich nur noch eins: böses, böses Ich.
„Tschuldigung“, murmele ich. Reinhard drückt mir die Hand. „Kann ich jetzt eine rauchen?“
Eine halbe Stunde später kommen wir bei den Poring Hot Springs an, zahlen Eintritt, betreten den Park. Ungläubig stehen wir auf einem Gelände, das mehr an das Wattenscheider Wellenbad als an naturbelassene heiße Quellen denken lässt. Reihe um Reihe geflieste Becken, in denen etliche Einheimische ihre Füße oder ihre verschwitzten Leiber baden.
Als wir später wieder getrocknet sind, erkunden wir den Park. Der Schmetterlingsgarten gefällt uns gut. In dieser Größe und Farbenpracht kannten wir die Flattertierchen bisher nur mit Nadel im Rücken. Das hier ist ungleich schöner.
Die tropischen Blumen bieten ebenfalls schöne Fotomotive.
Danach wandern wir. Reinhards Alptraum ist dabei der Canopy Walkway.
Hoch zwischen den Bäumen auf einer schaukelnden Hängebrücke zu balancieren, ist nicht jedermanns Sache. Aber das weiß man erst, wenn man draufsteht und nicht mehr zurück kann. Zumindest wissen wir jetzt, dass er auf bewegten Brücken nicht schwindelfrei ist.
🤓
Kurzen Zeit später wird Reinhards entschädigt. Wir finden einen kleinen Wasserfall. Für den lässt er gern nochmal die Hüllen fallen, um gemeinsam mit einigen anderen jungen Männern im Wasser zu planschen.
Wir trennen uns hier, da ich gern noch die Fledermaushöhle sehen will, von der ich auf einem Schild gelesen habe. Die entpuppt sich allerdings als Enttäuschung. Siehe Video.
Mein persönliches Highlight folgt erst nach Verlassen des Parks. Denn ich bin sehr gespannt auf die Rafflesia. Und es gibt im gesamten Umkreis zurzeit nur ein einzelnes blühendes Exemplar – In „Vivian‘s Natural Rafflesia Garden“.
Bis zu 90 cm im Durchmesser und bis zu 6 kg schwer kann diese werden. Damit gilt sie als größte Blüte der Welt. Selten ist sie auch, die Rafflesia arnoldii. Wir lesen, dass sie einer eigenen Pflanzengattung angehört und nicht nur eines der seltensten Gewächse der Welt ist, sondern DAS seltenste Gewächs überhaupt. Das Maß an Sonne und Schatten muss genauso stimmig sein wie Boden, Feuchtigkeit, Beschaffenheit des Wirtes und umgebende Tierwelt. Hinzu kommt: Die Mammutblüte ist empfindlicher als ein Mimöschen. Eine Berührung der Blüte reicht, und sie vergeht zu schwarzem Schleim. Nur 15% aller Knospen, die aussehen wie kleine schwarbraune Kohlköpfe, blühen überhaupt auf.
Nach einem vorzüglichen Mal in einem kleinen Restaurant und noch vor Einbruch der Dunkelheit fahren wir zurück nach Ranau, checken ein, waschen Wäsche und suchen einen Shop, der Bier verkauft. Das ist in dem vorwiegend muslimischen Land oft nicht ganz einfach. Reinhard ist glücklich, dass er nicht von schwarzflügeligen Monstern gejagt wird, und ich, weil wir unser Bier auf der Außenterrasse unserer Unterkunft trinken können.
Reinhard:
Borneo war im 2. Weltkrieg zeitweise von Japan besetzt. In einem Lager bei Sandakan hielten sie auch mehrere tausend englische und australische Soldaten gefangen. Als die US-Marine sich 1945 der Insel von Osten näherte, waren von den mehr als 2500 Gefangenen nur noch 1356 übrig. Die anderen waren an Unterernährung, Krankheit oder aufgrund der grausamen Behandlung durch die Japaner gestorben. Von den Überlebenden überließ man 290 Gefangene im Lager, die nicht mehr gehen konnten. Sie starben allesamt. Die restlichen 1066 wurden nach Ranau in Marsch gesetzt, weil man dachte, die Alliierten seien unterwegs, um die Gefangenen zu befreien. Berge, Flüsse, Urwald, Sümpfe, Hunger, Durst, Hiebe mit dem Gewehrkolben, Schüsse. Nur 6 Männer überlebten – weil ihnen unterwegs die Flucht gelang. Bewohner der Insel versteckten und pflegten sie, bis die Befreier eintrafen. Andere Fluchtversuche scheiterten.
Während ich noch nach einem Taschentuch krame, kreischen einige Teenies durch die Museumsgärten und posieren für Selfies, als wären sie auf einer Kirmes. Keiner von den Sicherheitsleuten fühlt sich berufen, die Girls auf diesen kleinen Unterschied hinzuweisen. Als wir wieder im Wagen sitzen, bin ich recht still und lasse Chrissie machen. Ihre Idee für die heutige Autofahrt: Einfach mal treiben lassen. Irgendwohin im Richtung der See. Man werde schon irgendwo ein B&B oder ähnliches finden.
Chrissie:
Einmal sehen wir sogar einen riesigen Waran auf der Straße liegen, der blinzelnd die Sonne genießt. Leider verschwindet er blitzschnell, als ich anhalte, um die Kamera in Position zu bringen. Was mir nicht gefällt, sind die Hunde. Überall sehen wir sie. Herrenlos auf der Straße liegen oder wandern. Die Körper abgemagert, die Blicke traurig und hungrig nach Nahrung und Liebe. Einmal halte ich an, weil ich es nicht ertrage, an den beiden Promenadenmischungen vorbeizufahren. Sofort kommen sie auf mich zu, wollen gekrault werden. Ich muss schwer schlucken und streichle beide. Am liebsten würde ich sie alle retten. Aber so bleibt mir nichts anderes, als unsere letzten Toastscheiben zu verfüttern.
Nein, das „Grab“ hat eher was mit „Grabschen“ bzw. „Abgreifen“ zu tun. Über eine App greifen die Fahrer Kunden auf – oder die Kunden sie. Das Prinzip kennt man, denkt man. MyTaxi und Uber haben es vorgemacht. Insbesondere Letzterer hat nicht gerade positive Schlagzeilen gemacht, weil die Fahrer schlecht bezahlt werden. Für den Kunden schlägt sich das natürlich auch auf den Preis nieder. Bei Grab gibt man Start und Ziel ein und erfährt sofort, was die Tour kostet und wie das Taxi aussieht, auf das man am Startpunkt warten kann. Und es kostet … fast nichts. Für eine halbstündige Taxifahrt von ca. 18 km zahlten wir beispielsweise 22MYR, ca. 4,50€. Wie kann sich so etwas rechnen?
Uns gabelt Hani auf der Ankunftsebene des Flughafens von „KK“ auf. Klein, untersetzt, rundes, fröhliches Gesicht. Sie wundert sich: „Kein Gepäck?“
Wir schütteln die Köpfe und erklären ihr die Sachlage. Unser Gepäck liegt in dem Ferienhäuschen, das wir gerne noch ein paar Tage länger nutzen möchten. „Und ohne Auto kommt man nicht dorthin!“
„Okay“, sagt sie und schiebt eine Frage hinterher: „Wieviele Fahrer haben die Fahrt angenommen und dann gecancelt?“
Woher weiß sie das nur?, denke ich und antworte: „Vier“.
Sie lacht. „Ja, das dachte ich schon. Ihr habt Glück, dass ich da war. Die meisten nehmen keine Fahrten an, wenn sie für die Rückfahrt keine Gäste kriegen.“
Sie wirft einen Blick auf die Adresse. „Das ist wirklich ein langer Weg. Aber egal. Ich brauche noch ein paar Kilometer für diese Woche. Außerdem liebe ich Herausforderungen.“
Hani spricht hervorragend Englisch, weiß viel über ihr Land und hat Humor – so wird es eine lustige Fahrt. Zwischendurch ruft sie sogar ihre Tochter an. Sie erklärt uns, dass diese seit vier Jahren Deutsch lernt. Endlich steht die Verbindung:
„Say something in German“, fordert die Mutter auf.
Stille im Apparat. „Los!“
„Äh, guten Tag!“
„Say more!“
Stille. Ich spreche ins Handy. „Guten Tag. Es ist schön, dass Sie Deutsch lernen.“
Stille.
„Speak with them!“, sagt Hani, aber uns wird klar, dass die Tochter entweder überfordert ist oder aber es nicht leiden kann, wie ein Tanzbär vorgeführt zu werden. Das Gespräch bleibt kurz. Wir nutzen die fast zweieinhalbstündige Autofahrt, um mehr über Land und Leute zu erfahren. Vorsichtig frage ich nach, ob man denn als Grab-Taxifahrer genug Geld verdient.
„Oh ja! Aber das hängt natürlich davon ab, wie viele Fahrten man annimmt. Bei mir sind es pro Woche etwa 100. Die brauche ich, damit ich weiter Platinum-Status habe.“
Sie erzählt, dass die Firma Grab ein gutes Konzept hat. Dass es keine Ausbeutung sei. Je mehr Fahrten man annimmt, desto besser sind die Vergünstigungen. „Autoreparaturen sind gratis, wir kriegen Prozente beim Tanken, bei neuen Reifen und Inspektionen.“
Ich bin nicht überzeugt. „Aber der Stundenlohn ist doch trotzdem eher mau.“
„Wir kriegen auch neue Handys und manchmal auch eine Geldprämie. Je nachdem, wie viel man fährt. Deswegen will ich ja auch den Platinum-Status erhalten.“
Rund 800 Euro verdient sie mit der Fahrerei pro Monat, arbeitet im Schnitt von 07:00 – 19:00 Uhr. „12 Stunden am Tag?“, frage ich entsetzt.
4 thoughts on “Wir töten keine Taxifahrer”
Dieser Reisebericht geht unter die Haut!
Naturerlebnisse in den Tropen mit allem, was dazugehört: einzigartige Straßen, ein ebenso einzigartiger Mietwagen, die größte Blüte der Welt, farbenfrohe Schmetterlingsarten, Balance halten auf einer schwankenden Hängebrücke, Planschen im Wasserfall, Zimmer mit Dusche in einer romantischen Holzhütte!
Und dann die alte Dame mit dem Fragezeichen im Gesicht! Ob sie sich über Euer Winken gefreut hat? Endlich mal eine Abwechslung in ihrem Leben!
Ach, es ist so schön und so spannend, Eure Abenteuer zu verfolgen!
Das Ende dieses Erlebnisses hat uns besonders gefreut: Euer gemeinsamer Abend mit einem hilfreichen Engel!
Täglich neue Herausforderungen, Mut und ganz viele Glücksmomente! Macht weiter so!
Von wegen Holzhütte mit Dusche! Da musstest du dir dein Handtuch achnappen und gucken, welche Kabine im Duschhaus gerade frei war. Aber frieren musste man beim Warten nicht. – Am schönsten aber war, dass wir einige Freunde von der „Drachenperle“ noch an anderen Orten wiedergesehen haben. Wir werden unserer treuen Leserschaft berichten!
Wieder so ein heiterer, lebensfroher Bericht, der mich wie immer mitreißt und der mich dann, wie Reinhard tausende Kilometer entfernt, nach einem Taschentuch suchen lässt. Länderübergreifendes Synchron-schnupfen, so zu sagen. Das Leben ist nun mal ein Takt, also bedingt Fröhlichkeit und Freude auch eine dunkle Seite. Weit weg von zu Hause wird man plötzlich an Dinge erinnert, die man bereits vergessen glaubte. Der Todesmarsch erinnert Reinhard an eine dunkle Seite in unserer Historie und berührt mich zwangsläufig. Ich habe mich vor vielen Jahren mit den so genannten Eutanasie-Verfahren beschäftigt. Das Ganze hieß damals : Programm lebensunwertes Leben, oder im Volksmund: Rassenhygiene, denen allein 5000 Kinder zum Opfer fielen. Und das alles fast vor unseren Füßen in Dortmund-Aplerbeck. Beim Studium der Akten habe ich sehr sehr häufig nach Taschentücher gesucht und der Firma, die Tempo-Tücher verteibt, zu Höchstumsätzen verholfen. Die detaillierten Geständnisse der Peiniger und Begriffe wie z.B. Erbgesundheitsgericht , werde ich nicht vergessen.
Ich lenke mich derzeit ab, indem ich bundesweit recherchiere, ob es ungeklärte Mordserien mit folgenden Mermalen gibt: Tatzeit: nur Montags/ Opferprofil: weiblich, Taxifahrer//
Täterprofil: offensichtlich mittellos, da ohne Gepäck unterwegs , vermutlich zu zweit/ Besonderheiten: vegane Raucher/ Aliasnamen: Dick und Dov (genaue Zuordnung nicht bekannt). Ergreifung und Rückführung zu gegebener Zeit erwünscht.
Wenn du mal bei Facebook auf die „Jagd“ gehst, findest du die alten Begriffe wieder – bei den ewigen Dumpfbacken, die Merkel unterstellen, sie strebe in Deutschland eine „Umvolkung“ an. Was hättten die erst vor 120 Jahren gesagt, als die vielen Polen hier „einmarschierten“, um dann „auf Zeche“ zu gehen …
So, so – und du suOchst jetzt Taxifahrerinnenmörderinnen! Haben sie dich aus der Rente, pardon: Pension zurückgeholt oder bist du jetzt Privatermittler? Deine Erfahrungen könnten wir dann ja gut für den nächsten Krimi nutzen. Und wenn du nicht freiwillig aussagst …