Tianjin – je später die Gäste …
Reinhard
„Tut euch das bloß nicht an!“, warnte mich ein Kumpel, der vor 25 Jahren in China unterwegs war. „Vor dem Bahnhof in Peking drängten sich riesige Menschenmengen und warteten auf Einlass. Da standen Polizisten auf Podesten und ließen die Menschen schubweise rein. Damit es schneller ging, halfen sie mit Gummiknüppeln nach. Ein Reisender, der es ganz eilig hatte, lief über die Wartenden hinweg zum Tor und trat mal auf Schultern und mal auf Köpfe. Einfach so!“
Aber das war vor einem Vierteljahrhundert. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Bahnhof ohne Prügel erreichen werden. Aber dennoch geht mein Puls etwas schneller, als wir – einen dicken Rucksack hinten und einen kleinen vor dem Bauch – in Beijing am Bahnhof Süd aus dem Taxi klettern. Hoch über uns breitet das Vordach einer mit Glas verkleideten Halle seine Flügel aus, beide Bauten so riesig wie auf einem Flughafen. Mehrere Eingänge, dahinter Warteschlangen vor der Sicherheitskontrolle. Alle Habe aufs Fließband, das übliche Spiel, und dann stehen wir vor etwa 100 Stuhlreihen mit jeweils rund 40 Plastiksesseln, fast alle besetzt.
(Das Bild haben wir ganz legal bei Wikipedia geklaut. Lizenzrechte: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)
Dahinter strahlt eine riesige Leuchttafel, auf der man alle wichtigen Daten der nächsten Abfahrten ablesen kann. Wenn man kann … Wir können nicht. Abfahrtzeiten und Zugnummern sind zwar lesbar, nicht aber die Ziele. „Das ist doch ein Witz!“, sagt Chrissie. Und auch ich frage mich, wie es sein kann, dass an einem so großem Bahnhof nur Chinesisch auf den Tafel angezeigt wird? Was tun?
Wie man die Fahrten elektronisch vorbuchen kann, hätten wir mal vorher recherchieren sollen. Haben wir aber nicht. Das Einzige, was wir vorher wussten, war: „Es fahren täglich viele Züge nach Tianjin.“
Nun gut, jetzt haben wir 17.40 h und sind noch sehr gelassen – unser Couchsurfing-Host in Tianjin erwartet uns bis spätestens zehn Uhr abends. Bei einer halben Stunde Reisezeit kein Problem. Denken wir. Chrissie verbannt mich auf zwei freie Sessel und schnappt sich unsere Pässe: „Pass bloß auf das Gepäck auf!“
Dann läuft sie zu einem der Ticketschalter, die zum Glück in Chinesisch und Englisch gekennzeichnet sind. Nach zehn Minuten ist sie wieder da: „Mist! Die nächsten Züge sind schon alle ausgebucht. Um neun Uhr geht noch einer – da sind aber noch zwei Plätze in der Business-Class frei. Doppelter Preis. Um halb zehn gibt es noch Plätze in der 2. Klasse.“
Ich will nur raus aus dem Getümmel. Außerdem möchte ich nicht gleich am ersten Tag unseren Couchsurfing-Host verärgern. „Nimm den teuren!“, sage ich.
Als Chrissie endlich wiederkommt, hat sie eine schlechte Botschaft: „Die Plätze um neun und um halb zehn sind jetzt auch weg.“
“Was?“
“Ja, leider. Waren nur noch Restplätze.“
“Und jetzt?“
Sie wedelt mit zwei kleinen Fahrkarten, die sie in der Hand hält. „Um halb elf war noch was frei …“
Vor uns liegen vier Stunden Wartezeit. Grausam. Um uns herum schnattern Dutzende Menschen, per Lautsprecher werden immer wieder neue Zugabfahrten oder Sicherheitshinweise durchgegeben. Die Anlagen scheppern und Chinesisch hat, besonders per Lautsprecher, für europäische Ohren nicht einmal ansatzweise den Wohlklang des Französischen oder Russischen.
So landen wir am Rand der Halle in einer Filiale von Pizza Hut. Leise ist es da auch nicht und die Preise sind gesalzen. Wie oft können sich chinesische Normalverdiener einen Kaffee für umgerechnet 12 Euro leisten?
Ich bestelle eine winzig kleine Pizza. Woher kriegt man solch kleine Pfännchen? Im Puppenstubenbedarf? Umgerechnet sieben Euro kostet das Magersuchtmenü und satt bin ich noch lange nicht. Danach quengelt meine Lunge: Und was ist mit mir?
Raus aus dem Laden, zurück in die große Halle. Wo ist hier ein Ausgang? Alles sieht so aus, als müsste ich dazu mindestens eine Etage tiefer fahren und dann …
Zu umständlich. Also gehe ich zurück zur Gepäckkontrolle. Neben dem Fließband und dem Röntgentor ist ein Weg nach draußen frei. Als ich halb durch bin, werde ich von einem Beamten zurückgepfiffen. Ich zeige meine Zigaretten, mache deutlich, dass ich nur fünf Meter hinter der Glastür …
Der Kollege will hart bleiben, aber zwei Polizistinnen überstimmen ihn. Schließlich sind wir hier nicht bei einem Einreiseschalter, bei dem ich Pass und Visum zeigen muss. Und da steht auch nirgendwo, dass man hier nicht wieder raus darf …
Ich geh raus, rauche, muss wieder durch das eiserne Tor. Die Mädels machen sich einen Spaß daraus, mich nochmal zu kontrollieren. Dazu muss ich auf ein Podest steigen und mich wie ein Tanzbär drehen, damit sie mich gicksend mit einem Detektor abtasten können.
Der Uniformierte studiert die Adresse, die Bastian uns auf Chinesisch geschickt hat. Erleichterung, als der Angestellte nickt. 2002 ist nicht die Hausnummer, sondern signalisiert: Wohnung 2 in der 20. Etage. Der Mann bringt uns zum Aufzug und drückte den richtigen Knopf.
7 thoughts on “Tianjin – je später die Gäste …”
Liebe Weltreisende!
Immer wieder erstaunlich, wie gelassen Ihr alle unvorhergesehenen Situationen meistert!
Respekt und Kompliment!
Danke für Eure Reiseberichte und die tollen Fotos; wir verfolgen Euren Weg auf der Landkarte!
Inzwischen habt Ihr Tianjin schon wieder verlassen.
Wir freuen uns darauf zu erfahren, wie die Tage dort und das Couchsurfing im Luxus Apartment bei Bastian verlaufen sind.
Viel Spaß bei der Fahrt in die Reisfelder!
Gruß aus der Heimat und weiterhin hilfreiche Engel an Eurer Seite!
Ach, ohne Gelassenheit geht es nicht. Im Zeitalter von Reise-Apps und Wegweisern, die ohne Internet-Verbindung arbeiten, ist das auch kein Problem – wenn man mit Chrissie reist, die alles auf dem iPad hat, was wir brauchen. Und solange wir das iPad nicht irgendwo verlieren …
… dann gibt es immer noch ein zweites iPad und ein Smartphone als Backup. Herzelein, du bist mit einer Informatikerin unterwegs … 😉
Alle liebe von mir.. ;-)uns 😉
Mach offt ruhe!!!!
M&M 🙂
Danke, Mia! Schön, dass du an unsere Erholung denkst! Das hat für dich aber schon das Wetter getan. Es regnet. Wir nutzen die Zeit zum Waschen, Schreiben und Planen. Morgen geht es dann weiter:Wir fahren in die Reisfelder! Groetjes!
Ihr seid ja wirklich mutig! Wir findn es wie immer total spannend, was ihr da so zu berichten hat. Mir wird ganz anders, wenn ich mir vorstelle, dass man ja absolut nichts lesen kann. Wie ihr das alles meistert, alle Achtung! Weiter so, gute Nerven und ganz viele tolle Erlebnisse.
Ein Lob von erfahrenen Rucksack-Touries ist das Höchste! Dankeeee!