Shiraz – die Geschichte einer Freundschaft
😢😪😭😭
I just arrived at house, but your space is empty. I can’t stay at home now …
Reinhard
Diese Nachricht auf WhatsApp erreicht Chrissie, als unser Nachtbus gerade die ersten Berge hochkeucht, die Shiraz von allen Seiten einkesseln. Wer schreibt so etwas an meine Partnerin? Ein frisch verliebter Romeo, der es nicht begreifen kann, dass diese Frau und der alte Knacker nicht nur zusammen auf Berge klettern oder Paläste besichtigen? Nein, so ist es nicht. Drei schöne und emotionale Tage liegen hinter uns. Drehen wir das Rad der Zeit einfach nochmal zurück.
Der Fahrer, der uns am Freitag bei Persepolis gerettet hat, setzt uns nach einem langen Besichtigungstag abends bei seiner Tochter in einer geräumigen Altbauwohnung in Shiraz ab. Dort treffen wir – ganz unverhofft – die etwa sechzigjährige Sylvia wieder. Sie ist Deutsche, spricht aber außer Französisch noch Englisch und Spanisch fließend. Sogar etwas Farsi beherrscht sie. Wir waren bereits in Qazvin gemeinsam mit ihr Gäste beim selben Host. Anlass genug, über die Zufälle im Leben zu philosophieren – und erneut die Gastfreundschaft der Iraner zu bewundern. Immerhin hat das Ehepaar, das uns eingeladen hat, eine erst acht Monate alte Tochter und zudem die Mutter des Mannes zu Besuch. Trotzdem beherbergen sie eben mal drei Couchsurfer, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
Während des Abendessens müssen wir alle auf die kleine Tochter Hilda aufpassen. Deren Krabbelwege orientieren sich nämlich nicht an den Wünschen der Erwachsenen. Sie hat ihren eigenen Kopf. „Wieso hat eure Tochter einen deutschen Namen?“, will Chrissie wissen.
„Hilda bedeutet Kämpferin. Wir wollen, dass sie eine starke Frau wird.“
Ich nicke anerkennend, muss aber gleichzeitig wie ein Zerberus meinen Teller bewachen. Denn wesentlich fixer und bissiger als das Baby ist ein flügellahmer Nymphensittich mit kahlem Hinterkopf. Trickreich versucht er, mein Essen zu stibitzen. Vor allem auf das Rührei hat er es abgesehen. Kannibalistischer Dreckskerl.
Erst als seine hungrige Gattin herbeifliegt, gibt er Ruhe. Denn nun gibt es Arbeit. Der Bursche flattert torkelig in den Käfig. Dort gibt es nämlich ein Ei, das nicht gegessen, sondern ausgebrütet werden soll. Ich bin besänftigt bei so viel Emanzipaziertheit. Wer mag nun noch behaupten, dass es im Iran keine Gleichberechtigung von Mann und Frau gäbe? 😉
Am nächsten Morgen wechseln wir das Quartier. Hin zu einem Paar, das uns schon vor einigen Tagen eingeladen hat. Unser Gastgeber der letzten Nacht fährt uns.
Der Weg führt in ein Randgebiet von Shiraz, nahe dem Gebirge. Die Koordinaten stimmen. Unsere neue Gastgeberin Farahnaz empfängt uns in einer hellen modernen Wohnung: große Wohnküche mit knallbunten Sitzmöbeln, zwei Schlafräume, Dusche, WC und ein Minibalkon, auf dem gerade genug Platz ist für mich und einen Aschenbecher. Gut, dass ich in den letzten Wochen schon drei oder vier Kilo abgenommen habe. 🙄
Es ist Sympathie auf den ersten Blick. Farahnaz ist eine selbstbewusste junge Frau mit ausdrucksvollen großen Augen. Sie bewirtet uns mit Tee und frischen Orangen von der Plantage ihres Vaters. Auch unser Schlafraum duftet danach. Dort liegt nämlich eine riesige Schale Orangenblüten zum Trocknen auf einem schmalen Bett. Wenige Blütenköpfe reichen später aus, um dem Tee ein wundervolles Aroma zu verleihen. Farahnaz trainiert unsere Namen, während sie erzählt und fragt. Manche Iraner stolpern vor allem bei dem seltsamen Wort Reinhard, aber Farahnaz schafft es auf Anhieb. Wir tauschen uns aus über unsere Motive und Ziele, unserer Reiseerfahrungen und -wünsche.
Nun erscheint auch ihr Mann. Amon, „der Gerechte“, ist ein breitschultriger, muskulöser Typ, den ich mir gut als Bodygard vorstellen kann. Während die „Mädels“ gemeinsam mit den Vorbereitungen des Mittagessens beginnen, tauschen Amon und ich uns über europäischen Fußball aus. Er kennt die Namen der Trainer aller Spitzenclubs. Vorsichtig weise ich auf das abendliche Derby zwischen dem BVB und Schalke hin und möchte wissen, ob man das Spiel irgendwo sehen kann. Er ist Experte genug um zu wissen, dass der Sieg im Ruhrderby für die Fans beider Clubs wichtiger ist als die Meisterschaft. Er will einen Freund anrufen, ob der weiß, welche Spiele am Abend im Iran kostenlos …
Leider kommt es dazu nicht. Das Telefon klingelt. Irgendwo in Shiraz ist ein Bankautomat ausgefallen und muss repariert werden. Amon grinst. „Das wird nicht lange dauern. Ich bin gut darin, die Ursache eines Fehlers zu finden.“
Farahnaz bestätigt dies. Doch sie hält diesen Job auch für nicht ungefährlich. Immerhin geht es um bereit liegendes Geld. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Geldräuber es freiwillig mit diesem Bullen aufnimmt – und zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht einmal, dass der Mann Schwarzgurtträger in Karate ist und sie ebenfalls jeden Bösewicht zur Strecke bringen kann. Das Video dazu dürft ihr dann bei unseren Vorträgen später sehen. Bei Youtube sollten wir sie besser nicht veröffentlichen …
Chrissie
Reinhard hat den Text an mich übergeben. „Du kannst besser mit Gefühlen“, sagt er. Nun fläze ich hier auf einer Couch im Eingangsbereich unseres Hostels in Beijing und grüble. Wie soll man etwas beschreiben, das man selbst nicht in Gänze versteht, sondern einfach nur fühlt?
Show, don‘t tell, sagt Reinhard immer zu mir, wenn es ums Schreiben geht. Okay. Versuchen wir es.
Während Amon unterwegs ist und Reinhard selig mit seinem iPad die Nachrichten dieser Welt checkt, lernen Farahnaz und ich uns beim Kochen näher kennen. Wir erzählen uns von unseren Familien. Sie ist eine von drei Töchtern. Mit Amon ist sie seit zwei Jahren verheiratet. Ihr Vater ist sehr wohlhabend. Geldsorgen kennt sie im Gegensatz zu vielen anderen Iranern somit nicht. Aber Geld ist für sie nicht das Entscheidende. „Meine Elterm haben mich immer meine eigenen Entscheidungen treffen lassen. Sie sind sehr liberal. Das war mein größtes Glück.“
Amon hat sie an der Uni kennengelernt.
„Was hast du denn studiert?“, will ich wissen.
„Ich bin Genetikerin.“
Wow, denke ich. Egal, mit wem wir hier ins Gespräch kommen, es sind Leute mit tollen Abschlüssen und Berufen.
„Arbeitest du zurzeit?“
„Nein.“ Sie unterbricht ihre Arbeit am Herd und blickt mich an. „Ich war schwanger. Mein Job war sehr stressig. Ich habe mein Kind dadurch verloren. Amon sagt, es ist besser, wenn ich mich schone.“
Ich lege das Messer weg, mit dem ich Bohnen schnibbele, und drücke ihre Hand. Sie erwidert den Druck. Dann schweigen wir beide einen Moment und ich lasse das Gesagte und das Ungesagte sacken, während wir weiterarbeiten. Doch ich muss daran denken, dass das Zimmer, in dem Reinhard und ich schlafen, vermutlich für das Baby sein sollte.
Das Essen steht gerade auf dem Herd, als Amon wieder zur Tür reinschneit. Der war doch kaum ne Stunde weg?!
„Schon wieder da?“
„Ich hab doch gesagt, dass ich gut bin“, sagt er grinsend. (Wie gut, erfahre ich erst später, er hatte von mehr als 1.000.000 Absolventen an der Uni das beste Prüfungsergebnis!)
„Und jetzt kann jederzeit wieder das Telefon für den nächsten Einsatz klingeln?“
„Nein. Wenn nichts mehr passiert, habe ich für heute Feierabend.“
„Harter Job!“, scherze ich. „Bist du sicher, dass du das auf Dauer durchhältst?“
„Auf keinen Fall. Deswegen schlafe ich nach dem Mittagessen immer ein bis zwei Stunden.“
Ich lache, weil ich das für einen Scherz halte. War es aber gar nicht. Nach dem späten Lunch, es ist nun fast 15:00 Uhr, fallen ihm und Farahnaz die Augen zu.
„Los, ab ins Bett!“, schimpfe ich mit Farahnaz. „Du fällst ja fast ins Koma.“
„Ist das wirklich okay für euch?“
„Aber ja doch. Los. Geht schlafen.“
Reinhard und ich nehmen unseren Schlafplatz in Augenschein, legen die Matratzen aus und richten uns ein. Danach testet Reinhard, ob seine Superkraft noch funktioniert. Schlafen. Egal wann, egal wo.
Ja, er hat sie noch. 😉
Die Wohnung hat, wie sich vor und nach dem Schläfchen gezeigt hat, einen Nachteil: Das iranische WC mit dem Hockklo und der Duschraum liegen an entgegengesetzten Enden – und die Iraner/innen lieben es, nach dem Besuch der Toilette auch die tägliche Dusche zu nehmen. Und dort findet sich noch nicht einmal ein Haken für ein Handtuch, geschweige denn für Bekleidung.
„Darf ich dich mal was ganz Persönliches fragen?“, eröffne ich das Gespräch, als Amon wieder ansprechbar ist.
„Ja. Klar..“
„Mal angenommen, die ganze Familie ist zu Besuch. Oma, Opa, Geschwister, Schwägerinnen …. wie machst du das mit dem Duschen?“
„Was meinst du?“
„Naja, es sieht dich ja jeder, wenn du nackt aus dem Bad huschst.“
Ich muss giggeln, während ich das frage. „Sogar deine Schwiegermutter sieht dich dann. Das will doch keiner, oder?“
Wir müssen uns beide erst beruhigen, bevor ich Amons Antwort verstehe.
„Ganz einfach. Ich strecke den Kopf raus und rufe ins Wohnzimmer, dass alle kurz die Augen zumachen sollen.“
Ich habe mittlerweile Bauchschmerzen vor Lachen. „Und das funktioniert?“
„Ja.“
„Und wenn doch jemand guckt?“
„Dann wird er blind.“
Es ist unser erster Tag mit diesen beiden. Ich fühle mich wohl. Heiter. Angenommen. Gelassen. Und erst jetzt, als alle schlafen, denke ich daran, dass wir schon fast 24 Stunden in Shiraz sind, ohne was von dieser Stadt gesehen zu haben.
Das soll sich ändern. Nach dem Mittagsschlaf sind alle frisch und tatendurstig.
Wir fahren mit dem Familienauto. Eine fast neue chinesische Familienkutsche, Hochzeitsgeschenk von Farahnaz’ Vater. Reinhard freut sich, dass er zum ersten Mal seit Wochen wieder auf den Beifahrersitz darf – dieser Fahrer braucht keine Unterstützung durch meine Offline-Navi. Und wir Frauen sitzen auf der Rückbank führen unsere Gespräche fort. Unser Kennenlernen. Am meisten staune ich, als ich sehe, was für großartige Künstlerinnen Farahnaz und ihre Schwester sind. Die eine malt farbenfroh auf Glas, die andere zeichnet fotorealistische Bilder mit Kohle und Bleistift. Sie sind beide richtig gut.
Erstes Ziel unseres Ausflugs ist der alte und sehr bekannte Eram Garten am Rande der Altstadt. In dessen Mitte sich ein wunderschöner Palast mit romantisch pastelligen Mosaiken befindet.
Wir schlendern, reden, scherzen. Es ist, als würden wir uns schon ewig kennen. Unverkrampft, relaxt.
„Wollt ihr wissen, warum wir euch angeschrieben haben?“, fragt uns Amon, als wir in der Dämmerung dem Gartenausgang zustreben.
Klar, wollen wir.
„Wir nehmen nur sehr selten Gäste bei uns auf. Und wenn, dann gucken wir uns die Profile sehr genau an.“
„Oh, danke, das werte ich mal als Kompliment für uns.“
„Ja, kannst du. Ich habe dann Farahnaz euer Profil gezeigt.“
Die lächelt breit und schaut mich fast verliebt an. „Als ich dein Foto gesehen habe, Christiane, habe ich zu Amon gesagt, dass du wunderschön bist. So wunderschöne Augen. Und dass ich euch so gerne kennenlernen möchte.“
Wir erfahren, dass sie vor uns erst zwei andere Couchsurfer zu Besuch hatten. Ein deutsches Paar und ein Single, Japaner. Beides waren interessante wie positive Erfahrungen.
„Im Fernsehen sind die Deutschen immer so kalt und abweisend. Aber als wir das Paar kennengelernt haben, wussten wir, dass das ein falsches Bild ist. Wir haben das allen Freunden erzählt. Ihr seid genauso nett. Nein, noch netter. Ich mag euch so gern.“
„Wir euch auch. Ihr seid so unglaublich herzlich. Und du Farahnaz, bist noch viel schöner, als ich es je war“, sage ich.
„Nein, ich habe 15 kg in der Schwangerschaft zugenommen. Davor habe ich nur 50 kg gewogen.“
„Erstens siehst du kein Gramm schwerer aus all 55 Kilo. Und zweitens ist deine Schönheit nicht nur äußerlich. Du wirst immer schön sein.“
Amon und Reinhard gehen einvernehmlich nebeneinander und mögen, was sie hören. Der Weg zum Auto ist stimmungsvoll. Wo auf dem Hinweg noch der Verkehr rauschte, übernehmen nun Musiker den Klangraum. Gitarrenspieler. Mal allein, mal zu zweit, zu dritt oder zu viert.
Hier fehlen nun noch ein paar Bistrotische, Stühle und ein kühles Bier. Danach bräuchte ich nichts mehr zu meinem Glück. Leider keine Option, nicht mal ohne Bier. 😉
Stattdessen sehen wir uns die golden in der Nacht leuchtende Zitadelle des Karim Khan an, den Vakil-Basar und den Shah-e-Cheragh-Schrein mit seiner funkelnden Pracht.
Farahnaz und ich lachen uns halb tot. Wie üblich müssen wir als Frauen eine Gewandung überwerfen, bevor wir die Moschee betreten.
„Put on the tent“, sagt sie. Bei mir geht das Kopfkino beim Wort „Zelt“ wie automatisch an und ich muss kichern. Noch mehr, als ich das Riesenstoffding mit dem rosa Streublumendekor sehe. Noch vor dem Betreten der Moschee verwandle ich mich erst in einen Vampir, der seinen Umhang wie Bela Lugosi in seinen verschlagensten Momenten hält.
Dann bin ich die muslimische Supergirl-Version. Wir lachen, bis uns die Bäuche wehtun. „Ich liebe dich, Christiane“, sagt Farahnaz und wischt sich ein paar Tränen aus den Augen. Und ich liebe es, sie zum Lachen zu bringen, merke ich. Diese großen, machmal traurigen Augen.
Reinhard
Während Chrissie und Farahnaz im Fraueneingang verschwinden, fragt Amon: „Und du?“
Ich habe diesen Moment befürchtet, fühle mich aber genötig, Ja zu sagen. Und dann passiert es: Amon wird von einem Securitymann abgetastet. Auch ich hebe die Arme und spreize die Beine. Doch der Mann vor mir schüttelt den Kopf: „Bei Touristen muss das ein Mann der Regierung machen.“
„Bitte?“
Aber es stimmt. Er winkt einen gut gekleideten Mann heran, über dessen Brust sich eine auffällige Scherpe prangt: „Foreign Affairs“ – Außenministerium. Der wiederum zitiert einen jüngeren Mann heran, aufgetakelt wie zum Schlussball im Fortgeschrittenkurs einer Tanzschule. Der untersucht mich und ein paar andere Touries zwar nicht auf Waffen, hält aber in bestem Englisch einen langen Vortrag über die Bauweise des Hauses.
Schließlich dürfen wir rein. Wie ziehen die Schuhe aus, stecken sie in Plastiktüten, diese in ein Regal und tapern los.
Vor uns liegt ein Gebetsraum. Mehrere Männer knien auf dem Boden und rufen ihren Gott an. Ein Vater trainiert seine beiden Söhne, maximal drei und fünf Jahre alt, die Gesten der Unterwerfung vorschriftsmäßig zu zelebrieren. Und weiter hinten sitzt ein uralter Mann, der sich nicht mehr auf dem Boden niederlassen kann, an einem schlichten Holztisch und beugt immer wieder seinen Oberkörper in Richtung Mekka. In diesem Augenblick kochen in mir Fotos von den Jahrmärkten um die vorletzte Jahrhundertwende hoch, wo man in besonderen Shows Liliputaner, Schwarze und sogar den Sioux-Häuptling Sitting Bull gegen Eintritt vorführte – und schäme mich. Das haben die Männer vor mir nicht verdient, dass ich sie anstarre wie ein seltenes Tier im Zoo. Ich schaue Amon an, eine Kopfbewegung und dann verlassen wir die Moschee.
Chrissie
Auf dem Rückweg wird weiter gescherzt. Es ist kurz vor Mitternacht und Amons Magen führt Selbstgespräche. Aber jetzt noch kochen?
„Wir können einen Salat machen“, schlage ich vor.
„Christiane, du hast nicht zugehört“, sagt Amon in nur zum Teil gespielter Verzweiflung. „Ich habe Hunger.“
„Oder eine Banane.“
„Nicht dein Ernst!“
„Also ich brauche heute nichts mehr“, setzt Reinhard eins oben drauf.
Und Farahnaz zuckt mit den Schultern. „Ich bin auch nicht hungrig, aber ich glaube …“
Sie glaubt richtig. Amon kann weder Hasen- noch Affenfutter begeistern, und so kommt es, dass wir um kurz nach Mitternacht noch Nudeln aufbraten und ich einen Salat kreiere mit Zutaten, die mir brauchbar scheinen.
Die Kombi Chili-Essig-Öl mit frischer Petersilie, Schnittlauch, weiteren Kräutern, Knoblauch, Äpfeln und Walnüssen als Topping kommt gut an. Farahnaz lässt sich alles genau erklären, denn sowas kennt man hier nicht. Und für den Folgetag kündige nach diesem Erfolg an, dass Reinhard und ich Mittag- und Abendessen zubereiten werden. Himmel und Erde zum Lunch, einen schönen Kartoffelsalat zum Abendessen.
Nach diesem Beschluss fallen wir tot ins Bett. Erst da fällt Reinhard wieder ein: „Mist! Ich habe das Derby verpasst!“ (Dass sein Club verloren hat, erfährt er zum Glück erst später.)
Am zweiten Tag wollen Reinhard und ich allein los. Die berühmte pinke Moschee, offiziell Nasir al Mulk genannt, steht auf dem Plan. Und die muss man früh besuchen. Am besten zwischen 09:00 und 11:00 Uhr, weil dann die Sonne durch die Buntglasfenster fällt und die Moschee in eines der berühmtesten Fotomotive von Shiraz verwandelt. Amon muss morgen schon um 07:00 Uhr wegen einer Besprechung zur Arbeit und Farahnaz schläft für gewöhnlich bis 09:00 Uhr.
Uns kommt das gelegen, weil wir in aller Ruhe bummeln und fotografieren können und auf dem Rückweg unsere Einkäufe fürs Essen tätigen können. Plan vs. Realität. Plan k.o. In Runde 1.
Der Himmel ist bewölkt. Reinhard will lieber in dem schönen Cafe sitzen bleiben, in dem wir einen Frühstückskaffee genossen haben, und schreiben. Also lasse ich ihn und ziehe allein los. Die pinke Moschee war sicher schon mal pinker.
Da fällt keine Sonne durchs Fenster. Schade. Aber wie witzig. Wer steht da plötzlich wieder? Sylvia aus Belgien. Diesmal mit einer spanisch sprechenden Frau, ihrem neuen Host. Plaudern, fotografieren, um ein kleines Sonnenfunkeln zu nutzen, dann Abschied …
Reinhard sitzt artig im Cafe und ist beim dritten Kaffee und selig. Ich ziehe noch mal los. Einkaufen. Ich scheitere bei Majonäse und Essiggurken und muss Amon bitten, die fehlenden Zutaten zu kaufen. Aber immerhin bin ich wieder im Besitz einer Muskatnuss – der deutschen Kochzutat schlechthin. Im Iran kennt sie kaum einer.
Um 13.00 Uhr sind wir „zu Hause“. Reinhard schält wie ein Weltmeiser Kartoffeln, ich verhackstücke Äpfel. Fertiges Apfelmus habe ich hier nicht finden können.
Endlich können wir servieren. Amon nimmt je einen Esslöffel Kartoffelpü und Apfelkompott. Vom Bärenhunger des letzten Abends ist nichts zu spüren. Beide stochern höflich im Essen herum. „Ui, das ist sehr viel“, sagt Amon. Wir müssen lachen.
„Nicht euer Ding.“
„Äh, doch, das ist sehr lecker. Aber vielleicht nicht zusammen. Wir sind es nicht gewohnt salzig und süß zu kombinieren.“
Das macht nichts, denn Fahranaz hat mittlerweile den Kartoffelsalat entdeckt. Es fehlen darin sowohl Eier als auch Kartoffeln, aber das Joghurt-Mayo-Dressing mit Gurkenwasser und Würze haben es ihr angetan. Begeistert schlemmt sie das Gurken-Paprika-Gemisch. Und ich mache eine innere Notiz, dass das Experiment gescheitert ist. 😉
Nach dem Essen sind beide wieder müde. Tss, junge Leute halt. Wartet, bis euch die senile Bettflucht ereilt! Doch noch können wir die beiden nicht entlassen.
Wir müssen unsere Abreise planen. Qeshm Island steht noch auf dem Plan und wir haben keinen Dunst, ob wir da besser mit dem Bus, mit dem Zug oder mit dem Flieger hinkommen. Nur der Rückflug von Qeshm nach Teheran, der ist bereits bezahlt.
Ich mache es kurz. Alle Optionen sind Mist. Flieger am nächsten Tag um 06:00 Uhr. Grundgütiger. Nein. Das hieße, dass wir spätestens um 03:00 Uhr aufstehen müssten.
Busse am nächsten Tag ebenfalls zu blöden Uhrzeiten. Amon ruft noch einen Freund im Reisebüro an. Aber der weiß auch keinen anderen Rat. Ergebnis: Wir müssen noch diesen Abend los.
Irgendwie ist das für alle ein Schock. Farahnaz stehen die Tränen in den Augen. „Könnt ihr nicht noch bleiben?“
Während die beiden sich traurig ins Bett verziehen, flüstern Reinhard und ich. Sollen wir den bereits gebuchten Flug sausen lassen? Auch wir fühlen uns nicht gut. Die Zeit war zu kurz. Es ist, als habe man hungrig in ein leckeres Stück Kuchen gebissen, das einem dann vom Mund weggerissen wird.
Die Vernunft siegt. Im Nachhinein sagen wir beide: „Leider“. Die Entscheidung war dumm. Wir hätten in Shiraz bleiben sollen.
Unsere letzten Stunden verbringen wir zu viert, als ob es kein Morgen gibt. Ach, zum Teufel, für den Moment gibt es ja auch kein Morgen. Wir sitzen da und reden. Wir reden und verstehen. Wir verstehen und fühlen. Farahnaz und ich spielen abwechselnd Lieder auf ihrer Gitarre, sie singt Farsi, ich Englisch. Es geht um Liebe, um Sehnsucht, um Freundschaft. Um große Gefühle. Und auch um die guten kleinen.
Das letzte Lied spiele ich. „Leaving on a Jetplane“ von John Denver. Amon blickt auf die Uhr: „Wir haben noch etwas Zeit! Kommt, wir fahren zu unserem Lieblingsplatz.“
Das ist sie also. Unsere letzte Nacht in Shiraz. Wir stehen auf einem Hügel, auf dem außer uns keine Menschen sind. Es ist still, die Sterne leuchten über uns, die Stadt unter uns. Es ist perfekt, es tut weh. Wir lachen in die Kamera, aber uns ist nach Weinen.
Mir ist mach Weinen. Farahnaz und ich, wir sind gleich. Wir kennen uns. Und bald bin ich ohne sie. Auch in Deutschland haben wir liebe Freunde zurückgelassen. Aber es ist was anderes, wenn man geht und weiß, dass und wann man sich wiedersieht.
Als wir am Bahnsteig stehen und uns umarmen, weinen Farahnaz und ich. Die Männer gucken betreten. „Wir kommen wieder. Deutsches Ehrenwort.“
Wir sitzen im Bus, warten auf die Abfahrt und denken an zwei Menschen, die wir jetzt schon vermissen. Der Bus fährt an. Ich fühle mich leer. Warum sind wir nicht geblieben? Ich krame mein Handy hervor. Will Farahnaz schreiben. Im selben Moment macht es pling.
„😢😪😭😭
I just arrived at house, but your space is empty. I can’t stay at home now …“
Wir sind gleich.
„Ich vermisse dich auch. Wir werden wiederkommen. Das ist ein Versprechen. 👩🎤🧛♀️😘“
8 thoughts on “Shiraz – die Geschichte einer Freundschaft”
Eine wunderbare Erzählung von einer wundervollen Begegnung. Das so etwas über alle kulturellen Grenzen und Fremdheit möglich ist, berührt mich sehr. Danke, dass wir teilhaben durften.
Danke, dass du ebenfalls dabei bist! 🌸
Ihr Lieben,
Dank Eurer Berichte ist es fast ein bisschen so, als wäre man ab und an dabei! Jedenfalls wurde beim Lesen mein Zorn auf einen gewissen amerikanischen Herren, der momentan trampelig an der Kriegsschraube gegen den Iran dreht, noch ein wenig größer.
Wir sind derzeit die Nachbarwohnung am Renovieren, um darin – neben Marits Arbeitszimmer, die am 1.06. in Rente geht – unseren „Dachstubensalon“ einzurichten. Wir hoffen, dass Ihr dort an einem Abend nach Eurer Rückkehr ein (Vortrags?)Stelldichein haben werdet…
Alles Gute weiterhin und bleibt gesund!
LG Marit & Werner
Vor November sind wir nicht zurück – und müssen uns zuerst auf eine Lesung mit unfrommen Weihnachtsstorys einstimmen. Bin gespannt, wie das gelingt. Und bis aus diesem Blog wirklich ein Buch oder eine Art Diavortrag werden sollte, wird der nächste Schnee geschmolzen sein … 😉
Ihr Lieben,
die letzten Tage im Iran, Shiraz und die Geschichte einer Freundschaft – all das zu lesen, war sehr bewegend. Die Fotos sagen mehr als 1000 Worte!
Emotionen pur!
Wir können gut nachvollziehen, dass Euch der Abschied schwer gefallen ist.
Aber dank moderner Kommunikation könnt Ihr sicherlich immer in Kontakt bleiben, um Euch auszutauschen und die Freundschaft auch über diese Entfernung aufrechtzuerhalten.
Nun sind wir gespannt auf die nächsten Informationen aus China!
Wir wünschen Euch weiterhin viele interessante Begegnungen und Eindrücke.
Liebe Heidi, lieber Bodo,
danke, dass ihr immer so liebe Worte findet. Und natürlich habt ihr recht. Wir stehen natürlich mit den beiden weiter in Verbindung. Wir hoffen, dass in Wattenscheid für euch die Sonne scheint und freuen uns auf ein Wiedersehen mit euch! Liebe Grüße von uns beiden.
So eine schöne Geschichte! Sehr anrührend. Good luck in China!
Danke! Das werden wir brauchen. Der Start in Beijing war nicht einfach. 😯