Ne geile Zeit – Im Norden Irans
„This is Hamed from north of Iran. I saw your request for Qazvin but i thought you may also like to visit Fuman. I live with my parents in a village near Fuman city. Fuman City is near both the mountains and Caspian Sea. To be honest it is an invitation and a call for help too. (…)“
Allen Erschwernissen zum Trotz – die gemeinsame Mahlzeit ist wahrlich keine Trauerveranstaltung. Wir sitzen auf dem Boden, wie es üblich ist im Iran. Shah Khanom führt uns in die Gilan-Küche ein. Es gibt Spinat mit Bohnen und mit kleingeschnittenem Knoblauchgrün. Dazu gibt es Brot, Tomaten, Gurken. Außerdem Huhn und Kartoffeln für Reinhard und die anderen. Der betagte Mehdi sitzt an seinem Lieblingsplatz, dem warmen Ofen.
Wir lernen uns kennen, stellen Fragen und witzeln. Als ich Reinhard wegen seines Bauches necke und der scherzhaft einen Klaps auf meinen Hintern andeutet, verschluckt der Alte sich fast vor Lachen. Und als ich später unbewusst Reinhards Unterarm streichele, kennt seine Freude keine Grenzen. „Los“, feuert er mich mit Gesten an. „Mach weiter.“
Den besten Lacher haben wir aber nach dem Essen. Als Reinhard zum Rauchen aufsteht und bei dieser Gelegenheit ein paar Teller in die Küche trägt, guckt Shah Khanom ihren Mann von der Seite an und sagt etwas. Hamed übersetzt grinsend. „Sie sagt, er soll sich mal ein Beispiel daran nehmen.“ Alle lachen. Und auch, wenn sie es nicht ganz ernst gemeint hat. Bei der nächsten Mahlzeit schiebt Mehdi, auf dem Bauch kriechend, ein paar saubere Teller herein. In diesem Haus wirkt alles unkompliziert. Und die vielen Lachfalten in den schönen alten Gesichtern erzählen ihre eigene Geschichte. Video: Spaß mit der Familie
Reinhard:
Am Nachmittag unserer Ankunft fährt Hamed mit uns ins nahe Gebirge, wo sich das uralte Städtchen Masouleh in schmalen Terrassen an den steilen Südhang der Alborz-Berge klammert. Optisch erinnert das Dorf ein wenig an Monschau, aber mit diesen Bergen kann die Eifel nicht konkurrieren. Seit dem 10. Jh nach Chr. existiert der Ort schon. Und wie es scheint in unveränderter einzigartiger Bauweise. Der Fußboden des oben liegenden Hauses ist gleichzeitig das Dach des drunterliegenden Hauses.
Skeptisch schaue ich vom Parkplatz nach oben. Nicht schon wieder klettern, denke ich, aber die Wege sind für Rentner kompatibel und das Tempo auch. Jede Menge Touristen, Läden, Cafés – die Bewohner hier sind wohlhabend und wir geben unser Bestes dafür, dass sie nicht arm werden.
Seltsam finde ich eine rein männliche Besuchergruppe. Alle gut gekleidet, selbstzufrieden – wie die Truppe einer Beraterfirma, die gerade ein Bombengeschäft gemacht hat. Interessiert mustern sie die anderen Besucher, als ob sie Ausschau nach neuer Beute hielten. Welch ein Kontrast zu Hameds Eltern! Und etwas ist ganz anders als in Deutschland: Die Herren trinken brav Kaffee, Tee oder Saft. Weder hier noch woanders haben wir jemals betrunkene und grölende Typen wie in Bochums berühmtem Bermuda3eck gesehen. Welcome to Iran! Eine Wohltat.
Am zweiten Tag geht es auf eine längere Tour in Richtung Kaspisches Meer. Zuerst machen wir Station bei Freunden der Familie. Der Sohn betreibt eine florierende Firma, die Reispflanzen hochzieht, bis sie als Setzlinge an die Reisbauern verkauft werden können. „Unterwegs“ müssen die zentimeterhohen Keimlinge in größere Kästen umgepflanzt werden – eine mühevolle Arbeit. Mein Vater, gelernter Gärtner, hat mich einmal auf diese Weise Salatpflänzchen „pickieren“ lassen – in eIner solchen Menge, dass man halb Dortmund mit Kopfsalat hätte versorgen können. Wer mich kennt, weiß, wie begeistert ich als Grobmotoriker von dieser Aufgabe gewesen bin.
Dann bitten ISSA („please write my name in big letters“) und seine Verlobte Fatemeh zu einem grandiosen Lunch mit der Familie. Das Festessen geht über in einen Ländervergleich. Was die Rolle der Frau betrifft. Gerade mal 50 Jahre ist es her, dass bei uns ein Mann seiner Frau verbieten konnte, arbeiten zu gehen. Und wie ist es im Iran? ISSA weicht ein wenig aus: „Wir besprechen sowas gemeinsam.“ Und dann: „Es kommt auf den Job an. Es muss was Anständiges sein.“
Hamed bläst zum Aufbruch. Wir haben noch was vor. Eine Fahrt mit dem Schnellboot führt uns in das Mündungsdelta mehrerer Flüsse zum Kaspischen Meer. Eine grüne, nasse Wildnis. Einige waghalsige Kurven bringen uns in eine Schieflage, bei der das Wasser nur noch Zentimeter unter der Bootskante rauscht. Mein Pulsschlag beschleunigt sich, aber Chrissie versetzen diese Bögen in Begeisterung. Sie setzt sich vorn auf den Bug, breitet die Arme aus, spielt die „Ich-bin-der-König-der-Welt“-Szene aus Titanic nach. Ich staune. Auf den Azoren hat sie die Fische mit Brei gefüttert, als bei der Walbeobachtung das Bötchen ohne Antrieb auf den Wellen herumdümpelte. Hier aber rauscht ihr das Blut in den Ohren und ihr Biker-Herz wird wieder wach.
„Du auch?“, fragt mich Hamed.
Vor 20 Jahren hätte ich es wohl noch getan. Aber in diesem Moment würde mir ein Schaukelstuhl reichen. Später landen in Bansar Azali, einer kleineren Stadt am Kaspischen Meer. Eine City mit deutlichem Wohlfühlfaktor. Die Ostseite des Hafens trübt das Bild. Mehr als ein Dutzend Kräne, aber nur ein einziges Frachtschiff. Wieviele Arbeitsplätze dort wohl weggebrochen sind?
Die Westseite: eine Reihe von Imbiss- und Shisha-Buden, in denen an diesem Nachmittag vor allem Pärchen sitzen, die beim Juice schüchtern Händchen halten. Ein Stück weiter wirds sportlich. Ein paar Jungs üben im Sand Saltos, alte Autoreifen ersetzen die Turnmatten. Zwei Teams spielen engagiert Beachball. Beim Zuschauen beachtet mich niemand von ihnen. Aber als Chrissie sie filmt, wird sie lachend zum Mitmachen eingeladen. Zum Glück lehnt sie ab. Sportverletzungen können wir uns auf dieser Tour nicht leisten.
Die zwei Tage mit Hamed sind rasend schnell vorbei. Der Großteil der Webseiten ist übersetzt, Hamed hat viele Notizen gemacht, um die Seite per Social Media und Youtube bekannter zu machen. Und nun ist die Zeit zum Abschied gekommen. Die sonst so gefasste Shah Khanom wirkt ungewohnt weich. Hamed übersetzt. „Meine Mutter sagt, sie habe das Gefühl, eine Tochter zu verlieren.“ Chrissie und sie umarmen sich und tauschen Wangenküsse. Und nochmal. Mehdi schütteln wir die Hand. Eigentlich macht frau das nicht im Iran. Frauen halten sich die Hand ans Herz, wenn sie sich von einem Mann verabschieden. Aber Mehdi kennt genug Europäer und deren Bräuche.
Wir schütteln Hände. Auch er wirkt traurig. Genau wie wir. Vermutlich werden wir sie nie wiedersehen. Aber immerhin wird der Kontakt zu Hamed und seinem Partner Yasin bleiben. Viele Stunden später sitzen wir im Nachtbus von Rasht nach Isfahan. Schlafsitze, warmes Abendessen, neun Stunden Busfahrt – für den Preis der billigsten Viererkarte der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen. Diese Welt ist nicht im Gleichgewicht.
Und dennoch sind wir uns einig, wenn wir an Hamed und Fuman denken – es war ne geile Zeit!
10 thoughts on “Ne geile Zeit – Im Norden Irans”
Mein Streunerfreund Torsten und ich waren mit den Motorrädern bei Hamedi und seinen Eltern, und wir waren genau so begeistert wie Ihr! Wenn man iranische Gastfreundschaft in Perfektion erleben will, muss man einfach dort hin! Vielen Dank, daß Ihr wieder wunderbare Erinnerungen wachgerufen habt! Martin
Wie cool ist das denn? Ich weiß zwar nicht, was ein Streunerfreund ist, aber ich freue mich, dass ich positiv triggern konnte. Und mit dem Mopped durch den Norden, das wäre auch was für mich. Hast du einen Blog, auf dem ich mal stöbern könnte? 😃
Tolle Bericht und Bilder! Bin beeindruckt von den Menschen die ihr getroffen habt. Ein Blick über unseren Horizont über Grenzen hinaus ist doch der beste Lehrmeister! Ganz liebe Grüße, macht weiter so.
grügü
Danke, Günter! Du hast recht: Auch als alter Knacker kann man noch dazulernen. Und man muss ja nicht jeden Berg hochkraxeln, der am Wegrand liegt. Bin gespannt, was noch auf uns zukommt. Wir werden berichten! 😊
Hallo, Christiane und Reinhard!
Am Frühstückstisch gab’s heute morgen wieder etwas Aktuelles von Euch zu lesen!
Das Couchsurfing bei Hamed und seiner Familie war bestimmt wieder ein besonderes Erlebnis!
Wir finden es toll, wie Ihr diesmal bei der Gestaltung der Webseite Hilfestellung geleistet habt und so etwas von all dem Guten, was Euch entgegen gebracht wurde, zurückgeben konntet.
Die Bilder von Euch zusammen mit diesen liebenswerten Menschen sagen wirklich mehr als 1000 Worte!
Die Selfies sind gelungen und haben uns sehr berührt, sie strahlen so viel Freude und Herzlichkeit aus!
Wir wünschen Euch weiterhin unvergessliche Tage mit wunderbaren Begegnungen im Iran!
Oh, wenn wir jede Nacht einen neuen Bericht posten könnten, brauchtet ihr ja nicht mehr die WAZ zum Frühstück! 😉 Aber schön zu wissen, dass ihr immer dabei seid und unsere Freude an diesem Abenteuer teilt. ❤️
Auf dem roten Teppich ist definitiv noch viel mehr Platz als auf der roten Quatro😉
Liebe Grüße aus Wattenscheid 🤗
Platz? Yo, da magst du Recht haben. 😉 Aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich bei der nächsten Reise die Quatro einfach mitnehmen. Beste Couch, wo gibt! Nicht nur zum Surfen.
Danke. Eine wundervolle Geschichte. Hätte kein Schreibtischtäter annähernd so erfrischend erfinden können. Euch weiterhin solche Begegnungen. Sie spenden sicherlich viel Energie. …. Es ist nach Ostern und bald der 1te Mai. Weiterhin tolle Tage…
Du kennst ja das Sprichwort: „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er viel erzählen.“ So ist es wirklich – wir brauchen nichts zu erfinden, sondern müssen die Sachen „nur“ aufachreiben. Und das tun wir gerne – nicht nur für uns, sondern auch dür unsere treuen Leser/innen! Bleib fit! Mindestens bis Dezember im Café an der 310!