Über das Wesen der Iraner
Wir schreiben das Jahr 2019, die Iraner sind in ihrem Kalender erst bei 1398 – sie müssen sich bei ausländischen Terminbuchungen immer zwei Daten notieren. Und es gibt einige anderen Unterschiede zwischen Deutschland und dem Land, in dem wir uns zurzeit befinden.
„Muss man als Christ denn keine Angst haben?“
„Da gilt Vollverschleierung, oder?“
„Männer und Frauen dürfen sich in der Öffentlichkeit nicht berühren.“
„Schwule und Lesben werden im Iran hingerichtet.“
„Der Iran ist sehr gefährlich! An eurer Stelle würde ich da aufpassen!“
Kaum stehen wir länger als zehn Sekunden ratlos herum, erscheint jemand, um zu helfen oder um mit uns zu plauschen. Ich weiß, was ihr denkt. Das kennt man zur Genüge aus anderen Ländern. Den doofen Tourie erkennt man ja sofort. Weiß wie eine Käsemauke irrt er umher. Seine Augen zeigen mehr Weiß als Blau bei der Suche nach Erleuchtung. Kurz: das gefundene Fressen für Hyänen und Schakale. Die Abzocker. Sie umtänzeln dich, lächeln freundlich und heucheln Interesse, aber während du mit ihnen sprichst, haben sie ihre Zähne bereits in dein Fleisch geschlagen. Du bist das Fressen, das sie ersehnt haben, denn deine Hilflosigkeit riecht man meilenweit …
Nach nur einer Woche haben wir so viele Kontakte im Handy, dass wir eine eigene Hilfsorganisation gründen könnten. Fake? Nein!
Einmal z.B. suchen wir den größten Supermarkt in Qazvin, einer Stadt nördlich von Teheran auf. Ich will wissen, ob es hier Tofu gibt. Erst begrüßt uns der Manager persönlich. Hocherfreut, uns behilflich sein zu können. Was er dann nicht kann, weil er das Wort Tofu noch nie gehört hat – vielleicht gibt es das Produkt im Iran gar nicht. Aber aufgeben? Ein Iraner? Never!
Oder als wir in Rasht, der Hauptstadt der iranischen Provinz Gilân, waren …
Eigentlich wollten wir direkt 21 km weiter südwestlich nach Fuman, von wo wir eine Einladung von einem Dorfbewohner erhalten haben. Aber gleich am frühen Morgen gilt es ein Problem zu lösen. Meine iranische SIM-Karte funktioniert immer noch nicht. Sie führt sich auf, als wäre sie deaktiviert, kann sich mit keinem Netz verbinden. (Siehe auch https://www.rucksackundrentner.de/2019/04/19/unterwegs-im-tal-der-adler-teil-2/)
Zum Abschluss bringt er uns noch zur nächsten Irancell-Filiale und verabschiedet sich herzlich von uns. Toll. Aber wer glaubt, dass die Geschichte hier endet, irrt. Im Laden kann ich das SIM-Problem den Mitarbeitern nicht erklären – sie sprechen nur Farsi. Denn wendet sich ein weißhaariger Mittsechziger an uns. „Wo kommt ihr her? Braucht ihr Hilfe?“
Aber das Land ist auch für Überraschungen zu haben. Viele sogar. Entgegen der gängigen Meinung ist es z.B. nicht strafbar, schwul oder lesbisch zu sein. Kein islamisches Gesetz verbietet das. Okay, solange man nur platonisch liebt. Wer gleichgeschlechtlichen Sex praktiziert und erwischt wird, kann nicht nur metaphorisch den Kopf verlieren.
Auf der anderen Seite gibt sogar eine LGBT-Gemeinde (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender) im Iran, die man per Apps kontaktieren kann. Noch etwas: Hätte irgendjemand vermutet, dass der Iran nach Thailand die meisten Geschlechtsumwandlungen vornimmt? Sogar die Kosten einer OP werden zur Hälfte erstattet und die Geburtsurkunde wird entsprechend geändert.
Wer glaubt, Ahmad sei eine Ausnahme, der täuscht sich. An unserem letzten Abend in Teheran stellte ich ein öffentliches Gesuch für Qazvin bei den Couchsurfern ein. Wegen der Kurzfristigkeit hatte ich nicht viel Hoffnung, dass sich jemand findet, der uns zwei Tage lang aufnehmen würde. Da kannte ich die verrückten jungen Leute noch nicht. Am nächsten Morgen, nur wenige Stunden später, hatten wir 13 Angebote für Übernachtungen und Stadtführungen im Postfach, die ich beantworten musste. Noch während ich tippte trudelten weitere herein. Wir entschieden uns für ein Paar Mitte 30, zu denen ich bereits in Deutschland Kontakt aufgenommen hatte.
Ernsthaft. Das Couchsurfen ist eine der besten Erfahrungen, die ich auf Reisen gemacht habe. Was uns an Interesse, Freundlichkeit und Wertschätzung von Fremden entgegengebracht wird, ist unfasslich.
Als wir ankommen, hat Maral bereits ein Zimmer für uns hergerichtet und Suppe gekocht. Nachdem wir uns gestärkt haben, fährt sie mit uns in die Stadt und zeigt uns die wichtigsten Sehenswürdigkeiten.
Wieder bei ihr zu Hause angekommen, bin ich gezwungen, weitere Absagen zu schreiben. Ein junges Mädchen namens Parnian ist sehr traurig, weil sie noch bei ihren Eltern lebt und uns keine Übernachtung anbieten kann. Aber sie möchte uns so gern treffen. „I’m learning German and i’m interested in knowing more about German people or German culture and everything. I’m free at till night. Just send me a message in whatsapp or here and i will pick you up:)“
Später, in Isfahan, ist es noch krasser. Wir werden überall angelächelt, manchmal schüchtern, manchmal direkt. Man spricht uns an, man schenkt uns Bonbons oder Plätzchen. Und man fragt uns nach Selfies. Unfasslich oft. Endlich wissen wir, wie sich Brad Pitt und Angelina Jolie fühlten, wenn sie irgendwo durch die Stadt spazieren. (Okay, in unserem Fall müssten wie doch eher Catherine Zeta-Jones und Michael Douglas.) „Willkommen im Iran“, heißt es. „Wo kommt ihr her? Gefällt es euch hier?“, „Ich mag die Deutschen.“, „Darf ich ein Foto machen?“
Dazu kommen die Komplimente über meine Augen und Haare (meistens von Frauen, die mich anstrahlen, als sei ich die Reinkarnation des heiligen Propheten) Sie sind so zahlreich, um mich eigentlich für den Rest meines Lebens einen Meter über den Boden schweben zu lassen.
Wir haben das Geheimnis dieser Sympathien in unsere Richtung noch nicht vollständig lösen können. Immer, wenn wir versuchen, es zu ergründen, erhalten wir ähnliche Antworten. „Das ist einfach so“, „wir mögen Ausländer“, „das war schon immer so“.
8 thoughts on “Über das Wesen der Iraner”
Toller Bericht und spiegelt meine Erfahrungen im Iran. Ich bin gestern erst von einer Woche Iran wieder zu Hause angekommen und fast hätten wir uns in Tehran oder Isfahan treffen können. Nein, die Menschen im Iran sind unglaublich herzlich, freundlich und wir du schreibst, bei jeder Frage nach einem Foto fühlt man sich wie ein VIP. Ein tolles Land und wundervolle Menschen. Es grüßt Christiane aus Forchheim (Bayern), gebürtig aus Essen 😉
Das Land und seine Menschen sind einfach nur wundervoll! Schade, dass es für ein Treffen schon zu spät ist. Aber falls du die alte Heimat ab 2020 zu besuchen gedenkst, melde dich gern mal 🙂
Ihr Lieben!
Bisher hatten wir vom Iran und seinen Menschen ein ganz anderes Bild.
Eure Berichte haben uns eines Besseren belehrt. Sie geben uns Anlass, über unser eigenes Verhalten gegenüber Fremden nachzudenken und von der persischen Mentalität, die von viel Herzlichkeit, Offenheit, Hilfsbereitschaft und auch Neugier geprägt ist, zu lernen.
Eure positiven Erfahrungen liegen sicherlich auch daran, wie Ihr mit Eurer freundlichen und offenen Art auf die Menschen zugeht!
Wunderbar, diese Empathie Tag für Tag zu erleben, auf beiden Seiten natürlich! Menschen brauchen einander, um glücklich zu sein, noch nicht entdeckte Potenziale für ein positives Miteinander dürften reichlich vorhanden sein!
Macht weiter so!
Ach, ihr …
❤️❤️❤️
Ein wunderbarer Bericht… Eine Bestätigung dessen, was mir vermittelt wurde. In diesem Land werden gerade Deutsche geliebt… Ich Frage erst gar nicht, warum.
Was die Liebe zu den Deutschen betrifft … es ist nur ein winzig kleiner Teil des Ganzen. Die Iraner lieben alle Ausländer (ausgenommen vielleicht Mr. Trump)
Wir hören und lesen die selben Geschichten, wie wir sie erleben, von Leuten aller Nationen.
Bisher haben wir erst zwei Menschen getroffen, bei denen wir das Gefühl hatten, dass es irgendwas mit genetischem Blödsinn zu tun hat.
Ein super toller Bericht, danke dafür. Das macht doch Hoffnung für eine bessere Welt.
Ja, das stimmt. Und manchmal macht ein Einzelner schon einen Unterschied. Wir haben ergreifende Geschichten gehört.🌷