Unterwegs im Tal der Adler – Teil 2
Reinhard
Gut geschlafen, gut gefrühstückt, auf zu neuen Qualen! Um zehn steht der 2. Teil des Alamut-Programms an: eine Wanderung von rund 15 km bei einer Höhendifferenz von über 1000 Metern. Kein großes Problem, vermute ich, denn nach meinem Sprachverständnis sollte man eine Wanderung etwa in der Mitte zwischen einem Marsch a la Bundeswehr und einem Spaziergang für Großväter einordnen. Etwas Anstrengung dabei ist gesund – aber ein Hauch von Gemütlichkeit sollte auch nicht fehlen. Immerhin sind die beiden Chinesen und ich zusammen locker 180 Jahre alt.
Unsere Guides sehen das wohl anders. Nach einer kleinen Kletterei auf den Mauerresten einer ehemaligen Assassinenfestung geht es noch eine Weile im Schongang durchs Tal, vorbei an Reisfeldern und weiß blühenden Kirschbäumen. Dann fällt den Jungs ein, dass wir ja im Gebirge sind. Linksschwenk – und dann geht es hoch.
Fayyaz, drahtig, schlank, schreitet unbekümmert voran. Trotz der Hitze führt er nicht mal eine Flasche Wasser als Gepäck mit. Wie will der das schaffen? Ich bin in der Hitze schon nach wenigen Minuten so durstig wie eine Ziege am Salzleckstein. Yousef hat einen kleinen Rucksack umgehängt und einen Hirtenstab als Kletterhilfe in der Hand. Und die könnte jeder von uns gut gebrauchen.
Ich will jetzt niemanden mit Einzelheiten meiner Leiden langweilen. Aber es geht steil bergauf, über Geröllteppiche und an rosa Dornbüschen vorbei, die schmerzhafter sind als NATO-Stacheldraht.
Für Chrissie kein Problem – sie würde hier noch einen Rucksack mit 20 Kriminalromanen hochschleppen.
Bewundernswert die beiden Chinesen: Auch sie brauchen ab und zu eine kleine Pause, verziehen aber keine Miene und gehen dann ohne zu murren weiter. Ich fluche still vor mich hin. Warum tue ich mir das an? Ohne Chrissies und Yousefs Hilfe müsste ich an einigen Stellen auf dem Bauch kriechen.
Nach 50 oder mehr Minuten erreichen wir eine wunderschöne Wiese mit Gänseblümchen und Löwenzahn, so klein, dass sIe zwischen die Schienen einer Modelleisenbahn passen könnten. Ich bin zu platt, um den wunderbaren Ausblick richtig genießen zu können. Aber Yousef zeigt auf einen Weg, der rund um die Wiese und dann wieder nach unten führt: „Das ist leichter.“
Selbst die beiden tapferen Chinesen atmen auf und stimmen mir zu, als ich sage: „It’s enough!“ Noch fünf Minuten vorher war ich überzeugt, Li würde sich gemeinsam mit mir zum Sterben hinlegen – ohne auch nur einmal geächzt zu haben.
Doch wir haben die Rechnung ohne die Guides gemacht. Sie befragen ihre Apps, Fayyaz steht auf, blickt in die Runde, betrachtet die nächste Schlucht, in der ein Wasserfall rauscht – und nickt. Die nächsten 40 oder 50 Minuten klettern wir glitschend und stolpernd Steilhänge hinab. Immer wieder Krisenberatung der Bosse. Und wir taumeln, von Stacheldrahtbüschen umzingelt, den nächsten Geröllweg hinab.
„Seid ihr diesen Weg schon mal gegangen?“, frage ich keuchend.
Kopfschütteln.
„Hat Fayyaz den Weg schon mal getestet?“
„No!“
Irgendwann kommen wir doch unten an. Aber in dieser Zeit habe ich Fayyaz und Yousef mindestens ein Dutzend mal gegrillt, geköpft und zersägt. Wunderbare Visionen, ohne die ich diese insgesamt 5 Stunden nicht durchgehalten hätte.
Im Homestay wartet ein kräftigendes Mahl auf uns und dann sitzen wir wieder in Yousefs Wagen. Höchste Zeit, denn bis nach Qazvin sind es noch ein paar Stunden Fahrt. Und wie es dort weitergeht, wissen wir noch nicht. Maral, unsere Couchsurfing-Gastgeberin vom letzten Mal, musste zu einem familiären Notfall in eine andere Stadt. Chrissie kümmert sich bestimmt, denke ich und und döse vor mich hin, während Yousef uns – ohne Absprache – durch engste Serpentinen zu zwei Cousins steuert, die in einem einsamen Dorf im Gebirge wohnen. Alte Männer sitzen vor den Häusern und beobachten unsere Ankunft. Hier weiß jeder alles von den Mitbewohnern. „Was machen wir hier?“, fragt Chrissie.
“Pause“, lautet die kurze Antort. Yousef grinst. „Wir haben uns seit über einem Jahr nicht mehr gesehen.“ Ganz glücklich sind wir nicht wegen der ungeklärten Unterkunftsfrage und dem nahen Sonnenuntergang. Aber wir murren nicht, sondern nehmen die Dinge wie sie kommen.
Wie man hier leben kann? Yousef zieht die Schultern hoch. Die beiden Verwandten arbeiten für den reichsten Mann am Platz, der mehrere Schafherden besitzt. Weit weg von der Welt.
Die Jungs bewirten uns mit Tee und gerösteten Sonnenblumenkernen, dann geht es – eine Stunde später – in der Abenddämmerung zurück nach Qazvin.
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Chrissie
Während Reinhard wohlig schläft, kämpfe ich mit einem ganz anderen Problem. Die Irancell-Simkarte funktioniert nicht mehr. Alle Tricks, die ich auf Lager habe, fruchten nicht. Mobile Daten aus und wieder an, Handy-Neustart, Wechsel der Simkarte in den zweiten Slot. Die Verbindung zum Provider kommt einfach nicht zustande. Beim Versuch, die Verbindung manuell auszuwählen, bekomme ich eine befremdliche Meldung: „Ihr Handy hat keine Erlaubnis, sich mit diesem Netz zu verbinden.“ Verdammte Hacke.
Alternativ könnte ich Lufthansa-Sim nutzen. Doch die meldet beim Aktivieren fröhlich, dass 1MB Datenvolumen 9,99 Euro kostet und ich mit einer SMS bestätigen solle, dass ich einverstanden bin. Sind die wahnsinnig? Wir wollen keine direkte Hotline nach MachdichnackigduBueckstueck.de, sondern eine Hotelbuchung tätigen. Nee, das klären wir anders. Yousef weiß leider auch keinen Rat wegen der SIM. Als wir ankommen, ist es schon stockduster. Ich bitte Yousef telefonisch, für uns ein Hotel in Rasht zu buchen, das ich im Reiseführer gefunden habe. Mit dem Sammeltaxi müsste es möglich sein, noch vor Mitternacht dort anzukommen. Yousef buchstabiert dem nur Farsi sprechenden Mann am Telefon noch meinen Namen. Alles sieht gut aus.
Die Sammeltaxis fahren nicht innerhalb ihrer Standorte, sondern haben ein eigenes „Terminal“ – eine Straßenecke, an der es zugeht wie auf einen Sklavenmarkt. Städtenamen schwirren durch die Luft, ein paar Schlepper besorgen den Fahrern die Kunden. Yousef hat eine merkwürdige Diskussion mit einem Testosteron-gesteuerten Muskelmann. Er blickt besorgt, weiht uns aber nicht in seine Gedanken ein.
Wir werden in einen Wagen verfrachtet, in dem der Beifahrersitz bereits besetzt ist. Wir nehmen hinten Platz, grüßen mit „Salam“ und bekommen keine Antwort. Yousefs braunes Gesicht wirkt erstaunlich bleich, als er sich verabschiedet. Weg ist er. Aber wann geht es los? Zehn Minuten später quetscht sich noch ein Mann zu uns auf den Rücksitz. Ohne Blick und Gruß. Nun steigt auch der Fahrer ein. Riesenkerl, Islamistenbart, mit Kettchen behängt, im Stiernacken ein Tattoo: „KING.“
Er startet, ohne uns einen Blick oder gar einen Gruß zu gönnen. Noch bevor wir die Autobahn erreicht haben, erledigt er die ersten drei Telefonate. In den schärfsten Kurven sucht er im Radio nach Musik. Das Wort „Sicherheitsabstand“ scheint hier niemand zu kennen. Zwischendurch versuche ich erfolglos mit den gleichen Aktionen wie zuvor, die Simkarte betriebsbereit zu kriegen. Nix.
Ungutes Gefühl. Niemand im Wagen spricht, und ich weiß, dass Reinhard jetzt daran denkt, dass er gerne eine rauchen würde. Aber auch er schweigt wie meine Simkarte. Irgendwann erreichen wir den Abzweig nach Rasht und der KING muss stoppen. Polizeikontrolle. Der Kofferraumdeckel wird hochgeklappt und wieder geschlossen. Die iranischen Mitfahrer müssen aussteigen, einer der Polizisten bedeutet uns, sitzen zu bleiben. Okay – wir werden immer noch nicht gesucht. 😉 Aber Drogen finden sie auch keine im Kofferraum.
Reinhard
Wann die Stadt Rasht beginnt, ist nicht auszumachen. An beiden Seiten der Schnellstraße reihen sich Handwerksbetriebe, kleinere Supermärkte, Tankstellen, Imbissläden. Viele sind offenbar Tag und Nacht geöffnet. Die Mitfahrer reichen dem KING während der Fahrt Geldscheine, um die Tour zu bezahlen, wir halten es wie sie. Chrissie hat den Eindruck, dass ich zuviel bezahlt habe, aber dann kommt das Wechselgeld zurück. Stumm. Und wieder wird telefoniert.
Schließlich halten wir. Alle steigen aus. Wir werden von drei örtlichen Taxifahrern erwartet, einer nennt den Namen unseres Hotels. Mit Sack und Pack steigen wir um, sind zehn Minuten später am Ziel. Ein älterer Mann hat Nachtschicht in der Rezeption und vertreibt sich die Zeit hinter einer Nähmaschine.
Freundlich unterbricht er die Arbeit und zeigt uns das Zimmer. Einfach, zweckmäßig, preiswert. Chrissie deutet fragend auf das dritte Bett. Der Portier winkt ab und zeigt uns mit den Fingern eine Zwei. Gut so.
Während er unten weiter an seiner neuen Hose arbeitet, müssen wir auch noch mal ans Werk gehen: Chrissie ist die Matratze zu hart. Nein, es liegt wirklich keine Erbse unter dem Nachtlager. Also plündern wir das 3. Bett, damit die Chefin gut schlafen kann. An meinen geschundenen Rücken denkt keiner. 😢 Aber ich bin viel zu müde, um mich über solche Kleinigkeiten aufzuregen. Welcome in Rasht.Vorm Schlafengehen loggt sich Chrissie noch ins WLAN ein. Eine WhatsApp-Nachricht von Yousef trudelt ein. “Ist der Fahrer losgefahren?“
Chrissie
Falls aufgrund von Reinhards Schilderungen der Eindruck entsteht, dass die Guides sich in irgendeiner Form inkorrekt oder gar verantwortungslos verhalten haben, dann ist dies zu verneinen. Reinhard wurde immer gefragt, ob er sich einen Weg zutraue, und im Zweifelsfall wurde ein anderer gefunden. Darüber hinaus möchte ich, Chrissie, insbesondere Fayyaz wärmstens als Guide empfehlen. Er ist witzig, erfahren, weiß viel Interessantes zu erzählen und bietet immer eine helfende Hand, wenn sie gebraucht wird. Wäre er nicht dabei gewesen, hätte ich kaum ein Foto von mir gehabt. Denn nebenbei dokumentiert er fotografisch alle interessanten Momente seiner Schützlinge. Für mich waren das zwei rundum gelungene Tage. Danke auch an Yousef für seine Begleitung. Wer sich für eine Alamut-Wanderung mit Guide interessiert, kann Fayyaz hierüber kontaktieren: http://www.visitalamut.com
8 thoughts on “Unterwegs im Tal der Adler – Teil 2”
Salam, Ihr beiden!
Da können wir nur sagen: „Stramme Leistung!“
Eigentlich waren wir bisher immer sehr stolz auf unsere „Bergwanderungen“ in der Alpenwelt. Täglich 8 Stunden unterwegs: 4 Stunden wandern, 3 Stunden Einkehr in den Almhütten, die zur Rast rufen, 1 Stunde bequemer Rückweg zu Fuß oder per Bus ins heimelige Quartier! Das ein oder andere Bierchen und eine leckere Brotzeit sind auch dabei!
Und jetzt, nachdem wir Teil 2 „Im Tal der Adler“ gelesen haben, schleicht sich bei uns ein schlechtes Gewissen ein! 😉😉
So eine Tour mit Guide, das wäre doch mal eine Herausforderung für die Flachlandtiroler!
Die Sache mit der streikenden Simkarte und die „Erlebnisfahrt“ im Sammeltaxi haben Eurer Tour noch ein Krönchen aufgesetzt!
Einfach einmalig, was Ihr so alles erlebt!
Und hier noch Ei n Gedanke zum Thema „kulinarische Völkerverständigung“: Wir sind auch gespannt, was Ihr demnächst über die Geheimnisse der persischen Küche zu erzählen habt; vielleicht lässt sich der Orient mit besonderen Aromen und Gewürzen nach Hause holen! 😋😋
Viel Spaß weiterhin bei Eurer Erlebnisreise, aber auch etwas Entspannung für die „Chefin“ und Erholung für Reinhard‘s Rücken!
Viele Grüße aus der Heimat!
Schlechtes Gewissen? Ha, bei euch bestimmt nicht nötig. Eure jährlichen Gemeinschaftskilometer ergeben sicher eine bessere Bilanz als die unsere. Sonst hätten 50% von uns nämlich beim Wandern keine Qualen zu erleiden *g
Die Sache mit der Simkarte nimmt übrigens noch ungeahnte Ausmaße an. Aber dieser Artikel muss noch geschrieben werden. Und was die kulinarischen Köstlichkeiten des Orients betrifft … keine Ahnung, ob wir da die richtigen Ansprechpartner sind. Ich kaufe mein Essen meist beim Obst und Gemüsehändler ein und Reinhard an diversen Imbissständen ohne Anspruch auf den nächsten Michelin-Stern. Keine Überraschung wird es sein, dass Safran sich großer Beliebheit erfreut. Ein Highlight waren die einzigartigen mit Walnusspaste gefüllten Fuman-Cookies, die man heiß genießt. Die kriegt man aber tatsächlich nur im Norden bei Fuman und Rasht.
Einen Gymnasiallehrer, kultiviert, mit sozialer Integrität und beherrscht, haben wir in die Fremde geschickt. Einen Totschläger, Mörder und Kannibalen („in dieser Zeit habe ich Fayyaz und Yousef mindestens ein Dutzend mal gegrillt, geköpft und zersägt)“
bekommen wir zurück. Diesen Lustmolch („Wunderbare Visionen“) müssen wir erst wieder integrieren?! Eine Bitte an die potentiellen Opfer. Ich möchte nicht nur den Reinhard, kultiviert, gesund und mit wenig Kilometer auf dem Tacho wieder zurück haben. Wenn ihr es jetzt dennoch fertig bringt, seinen Horizont mit den wunderschönen Eindrücken Eurer Heimat zu vergrößern, dann werde ich folgende Internetadresse an alle übergewichtigen Pauschaltouristen in meiner Bekanntschaft (ich denke da an bestimmte Kandidaten) weitergeben: http://www.visitalamut.com
Na, guck! Da hast du doch noch eine schöne Aufgabe für den nächsten Winter! 😉
Blaise Pascal wird folgendes Zitat zugeschrieben :
Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, daß sie nicht zu Hause bleiben wollen.
Der Gudsde ist zwar schon 1662 gestorben, aber so a biss’l was dran iss scho 🙂
Zu Hause sind die Leiden doch noch schlimmer: Einkaufen, Wäsche aufhängen, Altglas zum Container bringen. Und auf der Fernsehcouch holt man sich bestenfalls Rückenschmerzen. 😉
Hängt von der Couch ab !
Na, ja, wenn sie Sprungfedern hat … 😊