Unterwegs im Tal der Adler – Teil 1
Auszug aus „Wandere!“ von Heinricht Heine
Wenn du den steilen Berg ersteigst,
Wirst du beträchtlich ächzen;
Doch wenn du den felsigen Gipfel erreichst,
Hörst du die Adler krächzen.Dort wirst du selbst ein Adler fast,
Du bist wie neugeboren,
Du fühlst dich frei, du fühlst: du hast
Dort unten nicht viel verloren.
Wir befinden uns in Qazvin. Dem Tor zum Alamut Valley. Wörtlich übersetzt bedeutet das „Tal des Adlernests“ und es heißt, dies sei einer der schönsten Naturflecken des Irans. Nach all dem Stadtleben sehnen wir uns danach: Menschsein im eigentlichen Element.
Um 08:00 Uhr werden wir durch unseren bereits von Deutschland aus gebuchten Guide Yousef abgeholt. Schon bei der Anfahrt zum Tal sehen wir eine herrliche Landschaft. Wellige Hügel, wie mit grünem Flokati bedampft. Sonnig und wolkig. Wunderschönes Licht. Oben auf den Bergen unberührter Schnee, unten im Tal Terrassen für den Reisanbau. Während in China oder Vietnam dreimal pro Jahr geerntet wird, kann man in dieser rauen Landschaft nur auf eine Ernte hoffen. Adler sehen wir übrigens jede Menge unterwegs. Still und wachsam kreisen sie über unseren Köpfen und hoffen auf fette Beute.
Erster Stopp bei Lambsar Castle. Diese Festung gilt als größte und am besten geschützte des gesamten Tals und wurde vor ca. 1000 Jahren von den Assassinen angelegt – einer muslimischen Hardcoregruppe, die hier ein eigenes Reich errichten wollte. „Terroristen“, wie Yousef sagt. Von ihren 21 Burgen sind nur noch zwei zu erkennen. Irgendwann haben die Mongolen deren Herrschaft beendet. Die Burg ist zum größten Teil zerstört, aber die Reste mächtiger Wälle über den schroffen Felsen beeindrucken noch heute. Wie hat man damals bloß diese Steine an die richtigen Stellen schleppen können?
Für uns gibt es ausgetretene Pfade an den Hängen, dazwischen mehrere Treppen mit insgesamt 108 Stufen. Reinhard zählt und genießt jede einzelne – vor allem auf dem Rückweg.
Auf dem Parkplatz trifft sich Yousef mit einem anderen Guide. Fayyaz betreut ein chinesisches Paar, das in Australien lebt. Li und Di gehören eher in Reinhard Altersgruppe, machen aber, ehrlich gesagt, einen sportlicheren Eindruck.
Die Autofahrt geht weiter, quer über die Hügel und durch enge Serpentinen. In der Ferne immer wieder weiß ziselierte Berge. Oftmals wirkt es, als lägen zwei verschiedenen Länder nebeneinander. Braun-grün trifft Schwarz-weiß. Alles relaxt.
Nächster Stopp am Ovan Lake. Hier sind wir etwas enttäuscht. Er ist kaum größer als ein Dorfteich, ein paar unbenutzte Boote in der Gestalt von Schwänen liegen angebunden am Ufer.
Und nebenan sehen wir eine einsame Familie beim Picknick – Vater mit Maurerdekollette. Eine ungewohnte Menge Müll weht herum. Ganz in der Nähe befindet sich die dörfliche Kippe. Bevor der Abfall verbrannt wird, greift der Wind sich die Plastiktüten und verteilt sie im ansonsten sehr unberührt wirkenden Tal.
Nach diesem Besuch wird zum Essen geläutet. Wir halten an einem wunderbaren Homestay im Dörfchen Shahrak – ein großzügiges Lehm-/Steinhaus mit einem schönen Innenhof. Hier wird alles selbstgemacht. Geschnitzte Geländer für die Gänge, die zu den Zimmern führen. Innen alles liebevoll mit Wollkunst dekoriert. Auch die Wolle wird selbst gesponnen und gewebt.
Eine alte Frau, sie ist die Mutter des Besitzers, versucht mir mit geduldigen Lächeln beizubringen, wie man mit der Spindel umgeht. Hoffnungslos. Aber ich bin fasziniert von ihrem Gesicht. Sie strahlt eine innere Schönheit aus, die ich mir im Alter ebenfalls wünsche. Ich frage Yousef nach ihrem Namen, und er runzelt angestrengt die Stirn. Dann lacht er und sagt: „Call her ‚Hosseins mother'“
Nee, das geht gegen mein Ehrgefühl. Fayyaz weiß Bescheid. Ihr Name klingt wie Musik. Agdas Zarei Kooshki heißt sie. Das Mittagessen hat sie ebenfalls zubereitet und es ist vorzüglich. Mir zu Ehren alles vegan. Reis, der vor Ort angebaut wird. Ergänztmit einem Pesto aus Spinat, heimischen Walnüssen, Zwiebeln, Öl und frischen Kräutern. Dazu eingelegter Knoblauch. Ich könnte mich reinlegen. Das finden auch die beiden Chinesen. Aber Reinhard ist nicht ganz so begeistert. Er hätte lieber eine Hähnchenkeule oder ein Lammkotelett abgenagt.
Danach folgt ein leichter Spaziergang zu einem Seitental des Schmelzwasserflusses (der Name klingt nach „Sharud“, aber sicher bin ich da nie), der diesem Tal viel Wasser liefert. Ein paar hübsche Häuser, ein Friedhof mit überdachten Gräbern – einige angerostet. Hier gibt es keine begrenzten Ruhezeiten. Interessanter Fakt: Viele der Gräber und auch Todesanzeigen im Iran zeigen das Abbild der Verstorbenen. Nur eines wird man hier nie finden: Frauenbilder.
Andere Felsformationen als auf der anderen Flussseite. Eher wie bei Petra mit den runden Ausspülungen. Wir passieren eine Fischzuchtfarm. Mehrere Becken mit Forellen. Fontänen halten das Wasser sauerstoffreich und gaukeln den Fischen eine Strömung vor.
Währenddessen erfahren wir allerlei Interessantes von Yousef und später noch mehr von Fayyaz. Die erste Person Irans im Weltall war eine Frau. Wer hätte das gedacht (Anm.: Wir haben es später recherchiert: Anousheh Ansari ist eine US-Iranerin, eine Multimillionärin, die sich dieses Vergnügen selbst finanziert hat.)
Am Ufer treffen wir ein junges deutsches Pärchen, das mit dem Auto im Iran unterwegs ist. Wir staunen. Im Iran herrscht auf den Straßen nämlich eine Art Faustrecht: Frechheit siegt. Da fährt man schon mal bei Rot mitten in die Kreuzung, um als Erster abbiegen zu können. Oder nimmt einem Konkurrenten das Vorfahrtsrecht – frei nach dem Motto: „Der wird sich schon hüten, mir in die Karre zu fahren“. Selbst ich überlasse das Steuer hier lieber den Einheimischen. Der schlanke Bursche grinst: „Ich bin sogar in Indien gefahren. Da geht es noch härter zur Sache.“ Wir sind froh, dass Yousefs Fahrweise sich angenehm davon unterscheidet. Im Gegensatz zu den meisten anderen fährt er eher defensiv und vorsichtig. Er trägt sogar seinen Sicherheitsgurt.
Später: Warten auf das Abendessen. Um die sparsame Unterhaltung in Gang zu bringen, frage ich die anderen Gäste, was das perverseste Mahl ihres Lebens war. Fayyaz verrät, dass er mal „Spezialitäten“ von einem Schaf gegessen hat. Und zwar sämtliche Teile, die wir sonst nicht essen würden. Kopf, Gehirn, Klöten, Magen. Bon Appetite! Li, der chinesische Australier, kann mit Krokodilfleisch punkten. Ich schlucke den Kommentar herunter, der mir auf der Zunge liegt und erzähle lieber von dem Wurm, den ich als Kind lebendig als Mutprobe verspeist habe.
Den absoluten Vogel schießt jedoch Yousef ab. Haltet euch fest … das Krankeste, was in seinen Augen in seinen Magen gewandert ist, war ein … Trommelwirbel … Hase. Kann man die kulturellen Unterschiede besser beschreiben? 😅
Abends gibt es glücklicherweise was Schmerzfreies: in den Bergen gesammelte Artischockenwurzeln. In der Natur sehen sie aus wie plattgetretene Disteln. Für die Einheimischen sind sie eine Delikatesse, die fast überall zu finden ist. Wenn ihr hier also durch die Gegend wandert und lauter Löcher im Boden seht, dann sind es keine Maulwürfe.
Nein, heute kein Gag zum Abschluss. Ein friedlicher Abend in unserem komfortablen Homestay-Zimmer. Aber warten wir den Montag ab. Da wird gewandert. Reinhard stöhnt sich jetzt schon in den Schlaf.
5 thoughts on “Unterwegs im Tal der Adler – Teil 1”
Wie Manfred sich von Chrissi’s und Reinhards Wandertouren inspiriert fühlt.
Die spindeln, die beiden. Am Montag wird (schon wieder!) gewandert?
Ich persönlich unterscheide zwischen Weitwandern, Lechtwandern und Genusswandern. Bei Letzterem komme ich groß raus. Die Natur genießen und an schönen Orten einfach verweilen. Und als Wandern betrachte ich bereits den Weg vom Auto zum Ausflugsrestaurant. A propos Auto. Wenn es alt ist verliert es sowieso an Wert. Wenn es dann auch noch viele Kilometer drauf hat………………..
Lieber Reinhard, i c h hoffe auf meine persönliche Wertsteigerung und genieße Wandern weiter als geneigter Leser Eurer Abenteuer. Bleibt gesund, denn
„auch der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt.”, Laozi
Ich teile deine Auffassung vom Genusswandern. Aber wenn man zu zweit unterwegs ist … 😥
Hallo Weltenbummler!
Danke, dass ich „dabei“ sein darf.
Ich freu mich über jeden Bericht.
Bleibt gesund und genießt die Reise.
Gruß aus Wattenscheid
Michael
Ihr Lieben,
immer wieder toll, Eure Berichte zu lesen!
Besonders die eindrucksvollen Fotos von der Landschaft und den freundlichen Menschen, die Euch begleiten und die Euch teilhaben lassen an einem Leben, das wir uns so wahrscheinlich gar nicht vorstellen können! Im Einklang mit der Natur!
Wolle spinnen im Iran, hättest Du Dir das träumen lassen, liebe Christiane? Unter so herzlicher Anleitung! Und dann bereitet die freundliche alte Dame noch ein veganes Mittagessen zu, dass alle, bis auf Reinhard, begeistert hat!
Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus!
Weiterhin viele schöne Erlebnisse, besonders bei der nächsten Bergwanderung!
Viele Grüße aus dem mittlerweile sommerlichen Wattenscheid!
Wir sind gedanklich ganz nah bei Euch!
Ihr Lieben,
nein, das hätte ich nicht gedacht. Wobei ich es nicht wagen würde, meine Spindeldrehaktionen als Spinnen zu bezeichnen. Mir ist nicht nur im sprichwörtlichen Sinne ständig der Faden gerissen. *lach
Wir freuen uns schon darauf, unsere Tage im Fuman zu beschreiben. Das war eine Steigerung des bisher dagewesenen. Wir haben bei einer Bauernfamilir gelebt. Mensch, der Iran ist das Beste, was wir machen konnten. Liebe Grüße zurück ins sonnige Wattenscheid und besonders an eure sonnigen Gemüter!