Bye, bye, Teheran
Die nächsten Tage überrollen uns. Wir sind von morgens bis abends unterwegs – aber diesmal schaffen es nicht mal Dick und Doof, in ein neues Slapstick-Abenteuer zu stolpern: keine besonderen Pannen, keine dramatischen Zwischenfälle – und erst recht keine Sensationen in Sicht. Ganz anders, aber doch recht ähnlich geht es Leuten, die zu Hause abwarten, dass irgendwann ihr Traummann oder ihre Traumfrau anschellt. Die kommen aber nicht. Und wenn die Klingel doch einmal anschlägt, ist es höchstens der Hermes-Mann, der ein Paket für die Nachbarn abgibt.
Am letzten Tag in Teheran benehmen wir uns wie normale Touristen. Ein Besuch der Tochal Telecabin steht an. Haben wir schon erwähnt, dass man von vielen Stellen Teherans aus mit Schnee bedeckte Berggipfel bewundern kann?
Für Skiprofis, die jeden Winter in die Alpen fahren, ist das nichts Besonderes. Aber wir sind normale Flachländer, die seit Jahren keinen richtigen Schnee mehr unter den Füßen hatten. Mehr noch: Ich selbst habe, vom Schlittenfahren als Kind abgesehen, den Wintersport immer gehasst. Auf Klassenausflügen nach Winterberg habe ich meine damals sensationell guten Bretter mit Stahlkante und Sicherheitsbindung immer für fünf Mark an Schulkameraden verliehen und mich mit den Fußkranken in die nächste Kneipe gesetzt – zum Skatspielen. Unnötig zu erwähnen, dass die fünf Mark am Ende weg waren. Aber: Mit 72 will ich zumindest nochmal am Schnee riechen. Und Chrissie freut sich über die Abwechslung.
Unsere Alpen liegen heute bei Teheran – und wir ziehen los. Ohne Sicherheitsleine und Eispickel. Warme Jacken – ja. Ich trage immerhin meine hohen Outdoortreter, aber Chrissie ist zu faul, um Schuhe zu schnüren. Statt dessen zieht sie ihr leichten Barfußschläppchen an – selbst Ballerinas sind wärmer.
Teherans Charmonix liegt eine halbe Taxistunde von unserem Standort entfernt – und danach müssen wir noch weitere 30 Minuten bergauf zum Start der sogenannten Telecabin laufen.
Unterwegs kommen wir an Dark Rooms und Gruselkabinetten vorbei. Komischer Anblick, wenn draußen die Sonne scheint und niemand in die dunklen Hallen stürmt.
Schatten gibt es ja auch an den Eisständen und Frittenbuden – und die haben Zulauf.
Endlich stehen wir am Startpunkt der Gondeln. Aber wo bekommen wir ein Ticket? Einer der Angestellten weist unbestimmt nach draußen. Jede Menge Glaskioske – aber sie sind alle nur mit persischen Schriftzügen versehen. Wir haben erst beim dritten Versuch Glück. Wenn die Betreiber mehr Touristen anlocken wollen, sollten sie wie bei den Supermärkten die eine oder andere Information in Englisch auf die riesigen Fensterscheiben kleben.
Endlich sitzen wir in einer der gelben Gondeln – zwei Sitze mit dem Blick nach vorn, Rücken an Rücken mit zwei Leuten, die nach unten gucken müssen.
Ich weiß, die Skiprofis verziehen jetzt spöttisch das Gesicht. Sie sind schon 100 Mal mit solchen Gondeln auf die Zugspitze oder den Montblanc geschwebt. Der Blick in die tiefen Schluchten bringt ihren Kreislauf nicht mehr durcheinander. Chrissie juchzt jedesmal, wenn die Gondel über die Führungsrollen holpert und dann ein paar Meter tiefer stürzt. Ich nicht.
Ich blicke statt dessen auf die Gerüste, die dieses kilometerlange Stahlseil tragen. Die Dinger sind verdammt filigran gebaut. Und unter den einbetonierten Füßen befindet sich jede Menge brüchiges Gestein. Wann eigentlich ist zum letzten Mal solch eine Gondel abgestürzt? Der tiefe Schnee da unten würde uns auch nicht retten. Ich ziehe den Tod im warmen Bett vor.
Aufatmen. Die erste Etappe ist geschafft – von etwa 1500 Meter Starthöhe sind wir auf rund 2800 Meter gehievt worden. Und bevor es auf die letzte Etappe geht, die auf 3830 Metern endet, dürfen wir raus. Vor uns eine geräumige Gaststätte und rundum metertiefer Schnee. Welch ein Ausblick!
Den meisten Spaß da oben hat eine vierköpfige Familie mit einem etwa fünfjährigen Mädchen, das zum ersten Mal Schnee sieht. Natürlich Australier – offenbar hält sich der halbe Kontinent zur Zeit im Nahen und Mittleren Osten auf. Die Kleine traut sich erst gar nicht, den Schnee mit den Händen zu berühren – doch nach wenigen Minuten tobt sie mit dem Vater in der kalten Watte herum.
Chrissies Freude an diesem Anblick bleibt getrübt. Sie hat kalte und nasse Füße und zieht sich schnell auf den festen Boden vor der Hütte zurück. Jetzt nur nicht krank werden!
Eine Stunde später sitzen wir wieder im Taxi. Die Tour zurück dauert doppelt so lange wie die Hinfahrt. Rush Hour. Bord-an-Bord-Kampf. Die Seeschlacht von Trafalgar auf tausend Rädern. Aber hier bleiben auch die Verlierer am Leben. Sie kommen nur noch später nach Hause als die Sieger.
Auch Chrissie hat keinen Schaden erlitten. Husten und Schleimnase bleiben aus. Während ich Kartoffeln schäle, schnibbelt und kocht sie den Spinat. In Ahmads Besteckschublade gibt es sogar einen Kartoffelstampfer. Und dann kommt auch die mühsam erworbene Muskatnuss zum Einsatz. Gut die Hälfte landet im Brei. Ob Ahmad die andere Hälfte jemals braucht?
Es wird ein schönes Essen und ein langer, bisweilen sehr melancholischer Abschiedsabend. Achmad hat den frühen Tod seiner Frau noch nicht überwunden. Aber seine Lebensphilosophie hilft ihm weiter. Er sagt: „Ein Tier lebt einfach so vor sich hin, wie es muss. Schlafen, essen, Kinder zeugen, sterben. Aber der Mensch braucht eine Aufgabe. Und meine Aufgabe sehe ich darin, anderen Menschen zu helfen.“
Das gilt nicht nur für seine Tochter. Er hat oft Couchsurfer zu Hause. Und uns bringt er am nächsten Morgen zu einem der riesigen Busbahnhöfe, die es in Teheran gibt, und hilft uns, den richtigen Startplatz zu finden. Er bleibt, bis der bequeme Reisebus mit uns losfährt. Freut sich, als Chrissie aus Qazvin anruft, um ihm mitzuteilen, dass wir gut an- und bestens untergekommen sind. Am nächsten oder übernächsten Tag wird er unter den Bewerbern die nächsten Couchsurfer aussuchen. Um auch ihnen zu helfen. Was für ein toller Mann! Wir vermissen dich jetzt schon, Ahmad!
4 thoughts on “Bye, bye, Teheran”
Was Dick und Doof diesmal nicht schafften……… Moment mal…..!
Vor etwa 10 Jahren war ich Gast im kleinsten Restaurant Bochums. Persisch-iranische Küche. Mein Kollege und ich hatten zwei der vorhandenen neun Stühle ergattert und der iranische Besitzer erzählte voller Vorfreude von seinem Winterurlaub. „Österreich“ nickte Doof anerkennend. „Teheran“ war die Antwort. „Morgens Skilaufen, Nachmittags bei Mama auf der Terasse. “
Nachsitzen für Doof bei Wickipedia. Tatsächlich, es gibt Skigebiete im Iran.
Ihr möchtet auch noch was lernen? Cafe Safran, Kronenstr.31, 44793 Bochum
Für die schwächelnden Mathematiker unter euch. Ihr solltet nicht mit 10 Personen dort aufschlagen.
Wir wünschen Euch noch viele tolle Erlebnisse
MeMa
Danke für die Tipps und eine Bitte: Kannst du mit fleißigem Besuch dafür sorgen, dass das Safran zumindest bis Dezember noch existiert? Werbung wäre auch nicht schlecht. Wir haben doch einen gemeinsamen Kumpel, der dringend mal von Erbseneintopf und Eisbein auf gesündere Kost umsteigen aollte … 😌
Wie schön, zu Hause im – inzwischen sonnigen – Dortmund zu sitzen und eure spannenden Reiseabenteuer zu lesen! Bin in Gedanken bei euch! Ganz liebe Grüße, Anne-Kathrin
Danke! Jetzt wissen wir endlich, warum alles doch noch geklappt hat! Mit göttlichem Beistand … 🙄