Die Sache mit den zwei Pässen
Die letzten beiden Tage in Jordanien habe ich nur solche Aufgaben erledigt, von denen ich eigentlich Urlaub machen wollte: Planungen. Manchmal geht es leider nicht ganz ohne. Vor allem, wenn zeitlich alles perfekt getaktet sein muss.
– Strategisch gut gelegene Unterkünfte in Aqaba und Amman finden
– Sicherheitshinweise für den Iran checken
– Eintrag in die Krisenvorsorgeliste für den Iran
– Mietwagenrückgabe
– Busreise von Aqaba nach Amman
– Rucksäcke für den Flug neu packen
– Reiseunterlagen zusammensuchen
– Datensicherungen vornehmen
– Transport zum Flughafen organisieren. Für mich keine Zeit zum Schreiben. Der Altmeister musste beim Thema Wadi Rum allein an die Schüppe. 😉
Aber heute darf ich wieder berichten.
Wir befinden uns in Aqaba und wir müssen das Auto zu Avis bringen. Schnell stellen wir fest: Eine Schrottkarre zu mieten, kann auch Vorteile haben. Erst bei der Schlüsselabgabe fällt mir nämlich siedend heiß ein, dass ich den Fahrersitz nicht mehr gereinigt habe. Bei unserem „Schlammassel“ hat der auch einiges abgekriegt. Aber was mache ich mir Sorgen? Nach dem Sandstürmchen und den zahlreichen Regenfällen erinnert der Chevy an ein Kunstwerk von Jackson Pollock. Der neue Dreck verliert sich im Chaos. Niemandem fällt was auf.
Außerdem lenke ich geschickt das Thema auf die Reifen. „Die sollten alle mal gecheckt werden. Die verlieren Luft.“
Der Auto-Inspektor, der im sichtbaren Bereich nur noch über zwei Zähne verfügt, lacht mit offenem Mund. „ Nein, das ist nur ein Fehler im Display.“
„Äh, ja, aber wäre es nicht nett gewesen, uns das zu sagen? Wir hatten echt Stress deswegen und haben xmal Luft nachfüllen lassen.“
Die Antwort: Ein Schulterzucken und ein prachtvolles Grinsen. „Welcome to Jordan.“ Dass mindestens einer der Reifen tatsächlich defekt war, verschweigen wir. Nicht, dass noch jemand unsere Reifenzusatzversicherung in Anspruch nehmen möchte.
Diesmal klappt alles wie am Schnürchen. Zeitig stehen wir zwei Stunden später an der Bushaltestelle des jordanischen Unternehmens JETT und steigen – anders als bei unserer Abfahrt aus Deutschland – ins korrekte Fahrzeug. Die Ankunft in Amman erfolgt pünktlich. Nur: Ein Busticket zum Flughafen kriegen wir nicht am Zielort 7th Circle, einer der vielen Schlagadern dieser Großstadt.
Die Taxifahrer kreisen schon wie die Geier über uns und so mancher versucht, das neu gesichtete Stück Aas, also uns, zu verschlingen. „Taxi? You need taxi!“
Hartnäckig wird unser Kopfschütteln ignoriert, ebenso die Schallplatte, die wir abspielen. „No, thanks, La‘a“
„Taxi? Where do you go? Which hotel? Downtown?“
Reinhard und ich sind genervt, weil wir kaum eine Sekunde Zeit haben, um uns zu orientieren und die Navi aufs Zielhotel zu programmieren.
„Gib Gummi“, sage ich. Der Lieblingsbefehl eines Sportlehrers am „Hellweg“. Doch kaum sind wir dem Pulk entkommen und auf die Hauptstraße abgebogen, steht die nächste gelbe Piratenarmada parat. Ignorieren! Blick starr nach vorn bzw. aufs iPad gerichtet. Nach einem Kilometer erreichen wir unser Hotel Rama. Geschafft! Großer Klotz, schicke Eingangshalle. Sofort springt mir die Preistafel ins Auge. Bitte? DZ für 90 Dinar, Deluxe für 120 Dinar?
Sofort durchforste ich meine Mails, um die Buchung zu finden. Die sagt 28 Dinar inkl. Frühstück. Zimmer mit Balkon und Kingsize Bett. Kann das stimmen? Es stimmt. Nicht schlecht, denken wir, als wir das Zimmer betreten. Etwas Luxus zum Schnäppchenpreis. Und vor Allem ein gut funktionierendes WLAN. Das brauchen wir auch. Allein die Sicherung von knapp 300 Fotos und Videos der letzten 2 Tage kostet Zeit.
Nach einer knappen Stunde Recherche muss ich Reinhard zustimmen, dass wir die teure Hoteltaxi-Option für 25 Dinar für den Flughafen in Anspruch nehmen sollten. Per Uber wäre es zwar 7 Dinar günstiger gewesen, aber da gibt es noch eine Fußangel: Uber übernimmt keine Verantwortung für den Fall, dass der bestellte Fahrer nicht kommt. Solche Pannen brauchen wir nicht mehr. Wir vereinbarten einen Weckruf um 05:50 Uhr (der nicht kommt) und eine Taxifahrt um 07:00. Prima, genug Zeit für ein kleines Frühstück am nächsten Morgen, das lt. Anzeigetafel des Hotels um 06:30 Uhr starten soll.
Im Anschluss kümmere ich mich um den Check in für die erste Teilstrecke unseres Fluges Amman – Dubai. Kurze Prüfung der Handgepäcksregeln. 7kg + kleines Zusatzstück und die üblichen Maße. Yo, passt. Hauptsache, das Taxi kommt pünktlich.
Beim Online-Check in muss man die Passnummer eingeben. Check, erledigt. Denke ich.
Ich weiß nicht, dass das der Beginn des nächsten Dilemmas ist.
Unser neues Ziel ist der Iran, den bekanntermaßen nicht alle Nationen knorke finden. Deshalb nutze ich die in Bochum beantragten Zweitpässe. Aber dann kommen mir Zweifel. Der Pass, mit dem man ausreist, muss doch der gleiche sein, mit dem man eingereist ist. Die denken doch sonst, wir hätten das Land nicht verlassen. Hätte ich doch den Erstpass nehmen müssen? Wann genau ist die Ausreise beendet und wann beginnt die Einreise? Die Frage liegt mir im Magen wie ein Knäuel unverdauter Katzenhaare.
Ich konsultiere die Weltreise-Facebookgruppe, die mir im Vorfeld schon so oft Klarheit verschafft hat. Nur diesmal nicht. 20 Kommentatoren – 20 Meinungen. Sicher sind sich alle nur in einem Punkt: Einreise- und Ausreisepass müssen übereinstimmen. Mittlerweile bin ich der festen Überzeugung, dass ich einen Fehler gemacht habe. Ich brauche einen Schnaps. Es ist noch etwas von dem Wodka da, den Reinhard im Duty Free Shop in Aqaba erworben hat. Ich gieße einen guten Schluck in mein Zahnputzglas und exe es. Ganz ruhig. Denk nach, Christiane!
Die Angaben für das Boardingticket lassen sich natürlich nicht mehr ändern. Nein, ich will nicht die Sitznummer ändern, verdammt. Aber Moment mal. Auf dem Ticket stehen nur unsere Namen und die Sitznummer. Was genau verbirgt sich hinter dem aufgedruckten QR-Code? Ist da die falsche Passnummer hinterlegt? Meine Ängste werden weiter befeuert. Ein Mitglied der FB-Gruppe konstatiert, dass der Besitz von zwei Pässen in vielen Ländern strafbar sei.
Reinhard weiß noch nichts von alldem. Selig schreibt er am Wadi Rum Artikel. „Ist noch Wodka da?“, frage ich mit Kreidestimme. Der Alkohol umnebelt die Panik ein wenig. Ich muss herausfinden, was sich hinter dem Code verbirgt. Ich installiere gleich 3 QR-Scanner, weil der bereits vorhandene meldet, dass der Code nicht auslesbar sei. Fuck!
Die neu installierten Apps liefern jedoch Ergebnisse. Keine hinterlegte Passnummer. Hoffnungsfunke. Nächste Recherche: Ist in Jordanien der Besitz zweier Pässe strafbar? Scheiß Google. Mittlerweile sorgt zudem der Schnaps dafür, dass meine detektivischen Fähigkeiten stark reduziert sind. Vielleicht hätte ich es bei 50 ml Wodka gut sein lassen sollen. Es ist an der Zeit, Reinhard aus seiner Glückseligkeit zu reißen. Ich gestehe alles. Und am Ende haben wir einen formidablen Plan: „Dick und Doof gehen mit dem alten Pass durch die Sicherheitskontrollen und tun so, als ob nix wär.“
01:30 Uhr. Ich packe noch beide Rücksäcke und stelle den Wecker. Reinhard schläft sofort ein. Ich Sekunden später trotz allen Magengrummelns auch. Dank an Genossin Wodka.
Der nächste Morgen. Der Wecker klingelt, die restlichen Sachen sind schnell gepackt. Um 06:20 Uhr sitzen wir in der Lobby und warten darauf, dass sich die Pforten zum Frühstücksraum öffnen. 06:37 Uhr. Noch immer alles dunkel im Speisenraum. Wenn „Sesam öffne dich“ nicht funktioniert, muss man halt selbst Hand anlegen. Wir finden einen Küchenarbeiter, der nach unserer Ansage gemächlich beginnt, das Büffet einzudecken. 06:45 Uhr. „Können wir wenigstens einen Kaffee kriegen?“
Um 06:50Uhr schlucken wir hastig den heißen Kaffee runter. Das Büfett ist immer noch nicht fertig eingedeckt. Rache des Managements dafür, dass wir hier zum Schnäppchenpreis übernachtet haben? Ich stopfe in Highspeed die einzigen veganen Speisen in mich rein, die bis dato zu finden sind. Trockenes Fladenbrot, Tomaten und Gurken. Für Reinhard gibt es wenigstens noch ein Stück Butter, Marmelade sowie Kuchen dazu.
Pünktlich um 07:00 Uhr fahren wir ab. Eine halbe Stunde später sind wir am Flughafen. Läuft. Während Reinhard sich 2-3 Tot Händle hintereinander in die Lunge pfeift, sondiere ich die Lage. Alles übersichtlich. Direkt hinter dem Eingang beginnt der erste Gepäckcheck. Dort werden auch die Pässe geprüft. Ich schlucke trocken und komme mir so verdächtig vor, als liefe jemand mit einer bimmelnden Glocke hinter mir her. „Schande! Schande!“ (Wem das bekannt vorkommt, der mag die gleiche Serie wie wir ;-))
Reinhard tippt mich an und zieht mit seinen Finger die eigenen Mundwinkel nach oben. „Komm, lächle mal“, soll das wohl heißen. Klar, wenn wir schon mit blankem Hintern in die Kreissäge springen müssen, dann wenigstens fröhlich! Also lächle ich. Nun sind wir an der Reihe.
Ich halte die Luft an und versuche gleichzeitig, so harmlos zu wirken, als hätte ich nichts zu verbergen. Der Pass wird gescannt. Gleich sind wir im Arsch!
Aber dann …. dürfen wir durch. Juhuu. Ich zittere etwas. Aber das ist noch nicht die letzte Passkontrolle. Wir bestehen sie alle. Unser Pass erhält den Stempel für die Ausreise. Wir stehen am Gate, wo gleich das Boarding beginnen soll.
Reinhard schlägt vor, nun die neuen Pässe zu nehmen, die ich für den Checkin genommen haben. Ich bin mal wieder zu skeptisch. „Nee, lass uns die alten nehmen. Hat doch gut funktioniert. Vielleicht wollen die ja nochmal den Ausreisestempel prüfen.“
Jede gute Software hätte an dieser Stelle ein gelbes Ausrufungszeichen geworfen. Und jede schlechte eine unbehandelte Ausnahmeverletzung.
Meine Software hängt sich komplett auf. Und zwar in dem Moment, als ich sehe, wie der Flughafenmitarbeiter bei der Passprüfung die Stirn runzelt.
Lächle harmloser, denke ich. Mach die Schultern locker. Der Angestellte zieht meinen Pass durch einen Scanner. Wieder und wieder. Das Runzeln hat nun Gletscherspaltentiefe. Er will unsere Visa für den Iran sehen. Das Blut aus meinem Gesicht sackt im freien Fall in Richtung Füße. Kacke, Kacke, Kacke. Die Visa sind natürlich mit Passnummer 2 beantragt. Da kann er lange im System nach Pass 1 suchen.
Reinhard lächelt noch immer. Hat er mir gestern nicht zugehört? Gleich fliegt alles auf. Und wenn in Jordanien der Besitz eines Zweitpasses strafbar ist, dann …
Keine Ahnung, was dann. Ich händige dem Mann unsere Visa aus. Er winkt eine Kollegin ran. Es hilft nichts. Ich muss jetzt was sagen. Räuspern. „Hello, is there a problem?“
Ich werde ignoriert. Erneutes Räuspern. Lauter. „Sorry, ich glaube, ich weiß, was das Problem ist.“
Die Köpfe drehen sich zu uns. Reinhard neben mir strahlt die Liebenswürdigkeit einer Miss Marple aus, während mein Blut beschlossen hat, dass das Gesicht doch ein guter Ort ist.
Ich ziehe meinen Zweitpass raus und nicke Reinhard zu, es mir gleichzutun. Nun werden wir genau inspiziert. Beide Mitarbeiter sehen misstrauisch aus. Die Boarding-Schlange hinter uns ist beachtlich, die Gesichter sind es auch. Mindestens 10 Minuten Verspätung gehen bereits jetzt auf unsere Kappe. „Warum habt ihr zwei Pässe?“ Mein Herz klopft. Ich gestehe und erkläre alles. Nichts als die Wahrheit.
Dann passiert es …
Die Gesichter der beiden Angestellten hellen sich auf. Wir dürfen rein in den Flieger. Nach Teheran. Wo unser nächstes Abenteuer schon am Flughafen wartet. Couchsurfing im Iran 2.0.
4 thoughts on “Die Sache mit den zwei Pässen”
„Marhaba“, Ihr Lieben!
Spannung pur, Herzklopfen, fast wie ein Krimi! Die Sache mit den zwei Pässen ist ja zum Glück gut gegangen!
Passt auf Euch auf und gönnt Euch auch mal eine „Verschnaufpause“!
Dein Bericht, lieber Reinhard, vom Wadi Rum hat uns fasziniert; Euer Bild am Lagerfeuer – einmalig schön!
Vielen Dank, dass wir hautnah dabei sein dürfen!
Hallo Lieblingsnachbarn,
es ist so schön, euch dabei zu haben! So viel positive Energie! 🌈 Zurzeit relaxen wir im Teheran. Und wir übertreiben es (meistens) nicht mit den Anstrengungen 😉
Liebe Grüße!
Die Nummer mit Dick und Doof, also, bei der Sicherheitskontrolle ganz blöd tun, als ob nix wär, lässt sich toppen. Nämlich nicht nur Dick und Doof tun, sondern sein. Bei meiner ersten Einreise nach Katar meinte die verschleierte Dame am Kontrollschalter mit mir ein Gespräch führen müssen, da ihr irgend etwas an meinen Einreisedokument nicht gefiel. Meine linguistischen Unfähigkeiten hat mein „teacher“ bereits vor 50 Jahren mit mangelhaft dotiert. Und sie haben sich nicht verbessert. Also brauchte ich Doof nicht zu spielen und auf Dick brauchen wir an dieser Stelle nur insofern einzugehen, als das mich die damalige Situation gut 2 KG (Wasserverlust) gekostet hat.
Nachdem ich den Checkpoint 10 Minuten blockiert hatte, wurde ich weitergereicht. Der Typ hatte zwar ein hübsches weißes Gewandt, aber keine Deutschkenntnisse. Machen wir es kurz. Irgendwann tat der Typ so, als hätte er verstanden, dass ich meinen Schwager besuchen möchte und ich den anrufen könne, damit er die Situation klärt. Doof konnte einreisen. Was lehrte mich das? Richtig, auch in Krisensituationen: einfach ich selbst sein.
Gute Ein-Reise!!
Lieber Manfred,
wir lesen deine Kommentare mindestens genauso gern wie du unsere Berichte. An dieser Stelle möchten wir dich darauf aufmerksam machen, dass du mit dem öffentlichen Eintrag auf unserer Seite sämtliche Autorenrechte an uns abgetreten hast. Wir behalten es uns vor, diese amüsanten Beiträge in zukünftigen Werken zu verwenden. Wir bedanken uns recht herzlich von Doof zu Doof für die vielen Inspirationen. 😅