Endstation Schlamm
Wir befinden uns irgendwo im Nirgendwo zwischen dem Kings Highway und dem Dana Naturreservat. Der Wagen steckt fest, die Lufthansa SIM Card funktioniert nicht, weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. Wir können niemanden um Hilfe bitten; ach, ja, zu trinken haben wir auch nichts mehr.
Wie sind wir bloß in diesen „Schlammassel“ geraten?
Eine knappe Stunde erforschen wir die Ruinen mit ihren vielen Räumen, Treppen und Torbögen. Selbst jetzt beeindrucken die steinernen Relikte mit einer Wucht, die erahnen lässt, wie prächtig sie mal gewesen sein muss. Beschwingt fahren wir weiter. Alles hier ist so easy, so relaxt. Wir liegen gut in der Zeit. „Wir können heute sicher noch eine kleine Wandertour machen“, sage ich zu Reinhard, der mich zwar nicht begeistert anguckt, aber immerhin auch nicht entgeistert. Er weiß ja, was unser nächstes Ziel ist: das Dana Biosphären Reservat – laut unserem Reiseführer besticht es nicht nur durch spektakuläre Panoramen, sondern auch durch vier Klimazonen und große Artenvielfalt. Neben 600 Arten von Wildpflanzen soll es hier Geier, Hyänen und sogar Wölfe geben, die bei Vollmond heulen. Aber noch sind wir nicht da. Zunächst bestaunen wir die Schneebrocken am Wegesrand und erfreuen uns an der abwechslungsreichen Landschaft, die unser Miet-Chevrolet durchfährt. Kurvige schmale Straßen fügen sich wie naturgegeben zwischen die Hügel. Mutter Erde hat sie im Laufe der Gezeiten geformt wie eine Künstlerin. Die grau weiß gestreiften Gesteinsschichten sehen aus wie gemalt. Zwar ist die Vegetation karg, und nur einzelne Grasbüschel lugen aus der staubigen Erde. Und dennoch verzaubert uns der Anblick. Wir sind uns einig: Jordanien braucht keine Schminke.
Wir sind die Ruhe, wir sind die Entspannung, wir sind die fleischgewordene gute Laune. Kurz hinter einer mit Stacheldraht gesicherten Anlage, aus der ein paar Soldaten quellen, sehen wir einen Tramper. Warum nicht?, denken wir und halten an. Das „Shukran“, als wir das Ziel des schüchternen Mitfahrers erreicht haben, kommt offenbar von Herzen. Zu Fuß hätte er für diese Strecke mindestens bis zum Abend gebraucht. Gutes tun, lässt gut fühlen. Und sicher kommt es auch wieder zu uns zurück. Reinhard und ich winken dem Araber noch zu, bevor wir weiterfahren.
Unsere Offline Navigation ist aufs Informationszentrum des Dana Reservats eingestellt, da unser Hotel, wie so viele andere auch in diesem Land, keine vollständige Adresse mit Straßennamen hat. Dort angekommen, kann man uns sicher sagen, wie wir den Weg zu unserer nächsten Bleibe finden.
Die Anfahrt durchs Naturreservat ist steil, die Straßen schlecht. Kies, dicke Steine, Schlaglöcher und Pfützen, die uns an den Hagelschauer vom Vortag erinnern.
Dort angekommen erfahren wir, dass wir viel zu weit gefahren sind. „25 Minuten Fahrt“, sagt der Mann, der uns entgegen kommt. Er markiert auf dem Tablet die Position als Ziel, von der er meint, dass das Dana Tower Hotel dort läge. Wir fahren los. Ein ganzes Stück den Weg zurück. Dann biegen wir rechts ab. Tiefe LKW-Spuren lassen eher die Zufahrt zu einer Baustelle vermuten.
„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“, frage ich Reinhard.
Er ist sich sicher. Und tatsächlich sieht man eine hauchfeine weiße Linie in der Navigationsapp. Irgendwie ist mir nicht wohl dabei, aber ich fahre weiter. Mein Vertrauen in die Technik ist so grenzenlos wie man es als Apple-Jünger nur sein kann.
Wir kommen nur langsam voran. Immer wieder muss ich nach links und rechts ausweichen. Der Chevi ächzt bei jedem Schlagloch. Gut, dass die uns so eine alte zerschrömmelte Karre gegeben haben, denke ich. Mit einem nagelneuem 5er BMW hätte ich mich hier deutlich unwohler gefühlt. Die Pfützen werden mehr und tiefer. Der Kies verwandelt sich erst in immer dickere Steine und dann in ein Feld aus Lehm. „Wie weit noch bis zum Ziel?“, frage ich besorgt, nachdem der Wagen zum wiederholten Mal durch den Schlamm geschlingert ist und ich nur mit knapper Not Kurs halten kann. „1,7 km noch.“
Außer Bäumen, Matsch und ein paar grünen Flecken Wiese gibt es hier nichts. Ein paar Meter weiter macht der Weg eine Biegung nach links. Was ich da erblicke, sieht nicht gut aus. Da kann ich unmöglich reinfahren.
So weit es geht, fahre ich den Wagen nach links und halte. „Ich geh mal gucken, wie es dahinten weitergeht.“
„Beeil dich! Nicht, dass der Wagen im Schlamm festbackt.“
Ich muss lachen, weil ich mir das bildlich vorstelle. Und dann fällt mir ein, dass das doch echt witzig für den nächsten Blog-Artikel sein könnte. Schnell die Kamera raus und ein kurzes Video. Denn selig sind die geistig Armen!
Reinhard mault, aber ich steige aus und … versinke in der klebrigsten Erde, die ein Schuh gesehen hat.
Mist! Mit einem lauten Schmatz ziehe ich meinen Mammut-Treter wieder heraus und bewege mich so weit wie möglich am Rand nach vorn. Hoffnungslos – hinter dem Abzweig kämen wir nur auf zwei Wegen weiter. Entweder im Schlauchboot oder mit einem T34 Panzer.
Witzig finde ich die Situation nun nicht mehr. Die Kamera ist längst wieder eingepackt. Mit den vollgemockten Schuhen kann ich unmöglich in den Mietwagen steigen. Ich setze mich auf die Kante des Fahrersitzes und versuche die zähe Masse mit einem Stöckchen vom Schuh zu kratzen. „Fahr weiter! Wir backen fest!“, wiederholt Reinhard noch einmal seine Warnung. Wir einigen uns darauf, eines der Halstücher zu opfern, die wir in unserem Hotel in Aqaba als Abschiedsgeschenk bekommen haben. Endlich sitze ich wieder im Wagen. Das Tuch klebt unter meinen Füßen wie eine gekleisterte Tapetenbahn, aber irgendwie gelingt es mir, den Wagen zu starten und etwas Gas zu geben. „Du musst wenden“, sagt Reinhard.
13 thoughts on “Endstation Schlamm”
Navigation ist ein Mix aus Mathematik, Naturwissenschaften, Erdkunde, Geschichte und Leichtgläubigkeit. Die Faltkarten von Falk hatten den Vorteil, sich damit den Matsch von den Schuhen wischen zu können, nachdem das Auto samt Kartenleser in ein unterspültes Katastrophengebiet abgebogen war. Orientierung nach Sonnen-oder Sternen-Konstellation, Längen-und Breitengraden wäre auch noch möglich?! Marco Polo jedenfalls hat immer nach Hause gefunden. Wir wünschen einen spannenden Aufenthalt, nette Begegnungen und viele schöne Eindrücke.
Ach ja, wird in Eurem Mietwagen die Geschwindigkeit im Km/h oder Knoten angegeben……? Ich mache mir halt so meine Gedanken………..
Manfred
Manfred, gut zu wissen, dass du dir Sorgen um uns machst. Ein Falkplan wäre sehr hilfreich gewesen. Hatten wir leider nicht an Bord. Ich habe aber noch einen von Wuppertal im Keller. Der würde uns sogar in Alaska bei einem Schlammloch helfen. 😉
Manfred, ganz lieben Dank für diesen unterhaltsamen Kommentar. Hehe, falls du als Co-Autor tätig sein möchtest, melde dich. Du hast es auf jeden Fall drauf! 👍
Da werde ich auch ganz schön aufgeregt, wenn ich euer Schlammfahr-Abenteuer lese. Ihr ward ganz schön mutig, ohne Allradantrieb euch nach dem Regen auf die Piste zu wagen. UFFF, prima, dass alles gut ausgegangen ist. Wir sind gespannt auf eure Berichte- echt spannend zu lesen.
TOI! TOI! TOI! für die weitere Tour. Wie lange seit ihr noch in Jordanien mit dem Leihwagen unterwegs?
Sonnige Grüße aus Bochum in die weite Welt.
Mut …? Das habt ihr lieb ausgedrückt. Ich denke eher, dass Dick und Doof da mal wieder das Ruder übernommen hatten 😉
Danke für eure Grüße und ebenso herzliche aus Amman zurück nach Bochum.
Spannung pur 😀
Kann ich wenigstens per pn einen spoiler zum „Unglaublichen“ haben? (Ich schlafe sonst ganz schlecht…)
Noch ein Spoiler, Nina? Wenn ich das mache, kannste erst recht nicht mehr schlafen 😅
Wenn (zw)einer eine Reise tut…
LG W & M
Hallo, Ihr beiden!
Mit Spannung haben wir auf Euren Reisebericht gewartet, hatten uns schon Sorgen gemacht, ob es Euch wohl gut gehen mag.
Nun sind wir wieder auf dem Laufenden und froh, dass es aus dem „Schlamm“ doch noch weiterging.
Wir hoffen, dass Ihr Euch erholt habt von dem erlebten Stress, wünschen Euch bei den weiteren Abenteuern alles Gute und besseres Wetter!
Aus der Heimat schicken wir sonnige Grüße und sagen: „narakom qariban“!
Ihr Lieben, Sorgen müsst ihr euch wirklich nicht machen. Wenn es mal still ist, dann liegt das an schlechter Internetverbindung. Mittlerweile sind sogar unsere Sachen wieder sauber. Und Stress? Nein, die einen nennen es so, die anderen sagen dazu „raus aus der Komfortzone und rein ins Abenteuer“ 😉
Einfach immer einen Lada in petto haben🙋♂️
Selbst ein Lada Niva hätte da kapituliert. Aber einen Trabi – den hätten wir glatt bis zum Ziel tragen können! 😉
Eh, geil, offroad fahren! Was ihr alles erlebt – unbezahlbar. Erholt euch gut von diesem Schlamm-massel 😉