Couchsurfing im Kinderbett
Christiane:
„Um 11:00 Uhr hole ich euch ab, danach gehen wir in die Moschee.“
So lautete die Botschaft unseres Gastgebers, bei dem wir unseren letzten Tag in Aqaba verbringen wollten.
Safwan, 42, Maschinenbauingenieur bei der hiesigen Eisenbahn, war eine Viertelstunde eher da als geplant, so dass wir um 11:00 bereits in seinem weinroten hybriden Ford saßen. Reinhard vorn, ich hinten mit Abdalrahman (6 Jahre alt, Spitzname Abud) und Abdalmalk (3 Jahre, Spitzname Mellek.), der mich mit einem spitzbübischen Lächeln musterte. Wie sein Vater erzählte, kam der Junge schon mit diesem Grinsen auf die Welt. „Mellek is a troublemaker!“
Das konnte ich mir bei diesem Puppengesicht in den ersten Minuten gar nicht vorstellen. Doch als wir wenig später das Familiendomizil erreichten, konnte ich mir alles vorstellen. Schon im Auto saß Mellek kaum eine Sekunde still, turnte herum, rangelte mit seinem Bruder um eine Chipstüte und amüsierte sich köstlich, als ich sein Begrüßungsgeschenk ablehnte – einen frisch aus der Nase gezogenen Popel. Trotzdem war sein Lachen einfach ansteckend. Die arabische Version vom Michel aus Lönneberga!
Kaum hatte ich nach der Ankunft im Familiendomizil die Chipskrümel von meiner Kleidung geschüttelt, wurden wir vom Rest der Familie begrüßt. In der Tür standen Marwan, eine hübsche Frau, Anfang dreißig, die zehnjährige Maryan in einem wunderschönen rot bestickten Kleid und Baby Saleem auf Mamas Arm. Nach dem herzlich Empfang, durften wir das Gepäck in „unser“ Zimmer bringen. Oje, war mein erster Gedanke, die Kinder mussten für uns ausziehen! Tatsächlich schliefen Maryan und Mellek dort normalerweise.
Ich sagte dem Mädchen, dass es mir eine große Ehre ist, dass sie uns ihr Zimmer überlässt. Sie strahlte übers ganze Gesicht.
Es folgte ein arabischer Kaffee im aufgeräumten Wohnzimmer. Ein heller Raum mit einem großen Glastisch und vielen Sitzgelegenheiten. Andere Möbel gab es dort nicht. Baby Saleems bevorzugter Platz war unterm Tisch, wenn er nicht gerade bei seiner Mutter oder bei Reinhard auf dem Schoß saß. 🙂
Dann war es Zeit für die Moschee. Safwan fragte uns, ob wir mitkommen wollten. Ziel: die Masjid Al Sheikh Zayed Moschee. Ich musste nicht lange nachdenken. Der überzeugte Atheist Reinhard zögerte noch, stimmte dann aber dem Angebot zu, im Auto zu warten.
Marwan war in der Zwischenzeit verschwunden. Als sie wieder auftauchte, lächelte sie und überreichte mir einen Berg braunen Stoffs mit senfgelben Schleifen-Prints. Passende Kleidung für die Moschee, bedeutete sie mir. Grundgütiger, dachte ich, genau meine Farben. Egal. Rein in die keusche Kombi. Ein langer Rock, den ich bequem über die Hose streifen konnte, und ein Überwurfzelt mit integriertem Stretch-Gesichtsloch. Idiotensicher, selbst für Anfänger wie mich. „Beautiful“, versicherte mir Marwan, konnte aber ihr Schmunzeln nicht ganz verbergen. Auch Maryan kicherte über meine Veränderung. Gemeinsam stellten wir uns vor den Spiegel. Neben der kleinen grazilen Prinzessin fühlte ich mich wie ein entfernter Vorfahr des Menschen. Homo plumbus plumbibus vielleicht. Ich musste losprusten. Die Kleine nun auch. Mit dem vor Lachen gekrümmten Rücken hatte ich nun sogar was von einem braunen Käfer. Ich fand es großartig. Nun aber los – auf zur Moschee!
„So, you are now my teacher“, sagte ich zu Maryan. Sie nickte nahm ihre Aufgabe im Folgenden sehr ernst. So kam es, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben mit muslimischen Frauen in einer Reihe stehend, sitzend und kniend beim Beten wiederfand. Zumindest tat ich so, um nicht unangenehm aufzufallen.
Männer und Frauen gehen in getrennte Bereiche der Moschee. Während die Männer zum Haupteingang strömten, gingen wir über eine seitliche Treppe zu einem Nebeneingang. Dort standen mehrere Schuhregale. Maryan gab acht, dass ich nicht verloren ging, und zeigte den Platz, wo wir unser Schuhwerk ablegen sollte. Ich war etwas enttäuscht, von dem, was ich danach zu sehen bekam. Nämlich fast nichts.
Ein drei Meter breiter, heller Raum. Cremefarbener Teppich mit braun-blauem Rankenmuster. Dasselbe Muster fand sich in der geschnitzten Holzwand wieder, die bis zu einer Höhe von 3 Metern mit einer weißen Wand blickdicht gemacht wurde, so dass man vom Innenraum lediglich ein kleines Stück eines Kronleuchters sehen konnte. Witzigerweise war in der Mitte der Wand ein großer LED-Fernseher angebracht, auf dem man das Treiben im Innenraum betrachten konnte. In diesem Moment stellte ich mir die Frage, ob es möglicherweise nicht die Frauen waren, denen der Blick verstellt werden sollte. 😉
Die betenden Frauen und Mädchen standen geordnet in drei Reihen vor der Wand. Eine nette Muslima winkte mich nach vorn, aber ich hielt mich lieber an Maryan, die genau zu wissen schien, was man tat. Hinsetzen, Hände nach oben, um – wie ich später erfuhr – ein Geschenk aus dem Himmel zu empfangen. Die Predigt des Imam dauerte eine halbe Stunde. Hin und wieder mit Singsangstimme wie bei den Fürbitten der Christen. Immer wenn das Wort „Allah“ erklang, legten die Frauen die Arme nach vorn und die Stirn auf dem Boden. Somit hatte meine Gewandung durchaus einen praktischen Nutzen. 😉
In der Predigt ging es, wie ich später von Safwan erfuhr, um das Gedenken an die Gefallenen der Kriege in den 60er und 70er Jahren. Ich für meinen Teil war froh, dass das Ganze weniger lang war als eine Messe bei den Katholen. Eine halbe Stunde später war alles vorbei und Maryan erklärte mir in Gesten, dass ich nun Fotos machen könne. Das ließ ich mir nicht nehmen. Überhaupt, ich war ihr und unseren Gastgebern sehr dankbar, dass sie mich Ungläubige haben teilhaben lassen. Mindestens genauso froh bin ich jedoch, dass es keine Beweisvideos gibt, die mich beim Beten zeigen 😉
Reinhard
Nach dem Moscheebesuch gab es als Zwischenmahlzeit Obst – serviert in der Durchfahrt zum Hof.
Sie war wie ein Wohnraum mit einem Teppich ausgelegt; bevor man einen Fuß darauf setzte, wurden wie beim Betreten der Wohnung die Schuhe abgestreift. Die Kinder wuselten herum, die Erwachsenen saßen direkt auf dem Teppich oder auf dünnen Kissen, während der Senior der Runde sich auf einem Holzbänkchen niederlassen durfte. Wahrscheinlich wollten es die Gastgeber nicht riskieren, dass ich mir vorzeitig die Gelenke und Sehnen meiner Beine lädierte – die wurden zwei Stunden später noch bei der warmen Hauptmahlzeit gebraucht … 😉
Chrissie hatte Safwan schon vorher schonend beigebracht, was vegan bedeutete. Während in der Küche bereits die Vorbereitung für das warme Essen liefen, versuchte er es noch mit der verlockenden Beschreibung eines Hähnchenbratens. Ohne Erfolg. Auch kein Fisch? Letzter Test war eine knochentrockene Kugel aus Schafskäse – herrlich, wie ich fand, während meine Partnerin den Kopf schüttelte.
Safwan entschied nun, dass es eben eine vegane und einer fleischige Variante des Essens geben würde. Marwan hielt zur Feinabstimmung noch eine Aubergine, Paprikaschoten und ein paar andere Gemüsebeispiele aus dem Küchenfenster, die Chrissie abnicken durfte.
„Aber du isst doch Fleisch?, fragte er mich. Mein Nicken brachte die gestörte Weltordnung wieder halbwegs in die Waage.
Bald wehten aus dem Küchenfenster herrliche Düfte herab. Im Gegensatz zu Chrissies meldete mein Magen, dass er hungrig wie zwei Wölfe war.
Wenig später nahmen wir in einem Multifunktionsraum auf dem Teppich Platz. Er diente gleichermaßen als Fernsehraum, Essraum und Spiel-/ Schlafraum. Marwan und Bashra, eine Nichte Safwans, hatten ganze Arbeit geleistet: Zwei riesige Pfannen wurden in die Mitte gestellt. Villariba und Villabajo wären neidisch geworden und hätten die Folgewoche noch mit Spülen verbracht. Schalen mit einer Joghurtsoße und ein Stapel Fladenbrot folgten, der älteste Sohn verteilte Teller und Bestecke, Maryan brachte mir ein Polster, damit ich in einem angedeuteten Schneidersitz nicht die Balance verlor.
Dann verteilte der Hausherr die Portionen. Chrissie profitierte von einer gut gewürzten Kartoffel-Gemüsepfanne, ich bekam zuerst eine Hühnerbrust und danach einen Schenkel. (Anmerkung Christiane: Ob Reinhard merkt, wie unfreiwillig komisch das klingt? 😅)
Wie nagt man einen Knochen ab, wenn man Speisen nur mit der rechten Hand anfassen darf? Safwan beherrschte diese Technik perfekt. Mit Rechts fischte er sich seine Portion direkt aus Pfanne, während die andere H auf seinem Oberschenkel ruhte. Traditionell dient diese nämlich dazu, diejenige Stelle zu reinigen, an der die Verdauungsreste den Körper wieder verlassen …
„Gib der Tante das schöne Händchen!“, wurde man als Kleinkind ermahnt, wenn man einer Besucherin die linke Hand zur Begrüßung reichte. Hatte diese Ermahnung denselben Ursprung?
Wie auch immer – einige Familienmitglieder setzten die linke Hand zur Unterstützung der rechten ein. Ich hielt den Knochen also mit links, während die andere Hand ihn beim Abnagen drehte. Kein Blitz erschien am Himmel und kein Donnerschlag strafte mich – und die Kinder in der Runde erst recht nicht.
Irgendwann waren wir alle vollauf gesättigt. Chrissie und ich überschütteten die beiden Köchinnen mit Lob, was sie mit einem bescheidenen Lächeln quittierten. Aber die kleine Maryan erklärte: „We thank Allah for the food.“
Wie bei den Katholen, dachte ich, bei denen man dem Herrn Jesus dankt. Egal, wer das Essen kocht oder bezahlt: Das Lieferando der Gläubigen hat seinen Sitz offenbar im Himmel.
Christiane
Safwan und Marwan sind heiße Kandidaten für „Jordans next Couchsurfing-Super-Host“.
Nicht genug, dass wir vom Hotel abgeholt wurden. Nun kutschierten uns die beiden auch noch ins Zentrum von Aqaba, fragten, was wir sehen wollten. Um ehrlich zu sein, waren wir von so viel Freundlichkeit fast überfordert. Sie ließen sich nicht mal unter Androhung von Gewalt zu einer Einladung zum Kaffee oder Tee überreden. Gemeinsam schlenderten wir über einen kleinen Handwerksmarkt, um uns dann – nicht ganz zufällig – vor einem Duty Free Shop wiederzufinden. Reinhard hatte nämlich noch das Trauma vom Flughafen Köln zu überwinden. Der Jagdhund witterte Tabak. Unsere Gastgeber verabschiedeten sich. „Call me when you want to come back. I’ll come with my car.“
Unfasslich großzügige Menschen! Wir konnten kaum fassen, wie viel Freundlichkeit uns von diesen fremden Menschen widerfuhr. Aber vielleicht sollte es so sein, dass wir so viel Glück hatten. Safwan war nämlich nicht nur unsere erste Couchsurfing-Erfahrung, wir waren es auch für ihn! Und für seine Nichte Bashra waren wir die ersten Ausländer, mit denen sie ihre Englischkenntnisse testen konnte.
Im Duty Free erstanden wir als kleines Dankeschön eine Familienpackung M&Ms. Das aus Deutschland mitgebrachte Lübecker Marzipan schien nämlich trotz der Vorliebe für Süßes niemanden vom Hocker zu hauen. Dass auch die bunten Kugeln keine gute Idee waren, wussten wir erst, als die Teile kreuz und quer über den Boden rollten und drei von vier Kindern grün, rot oder blau verfärbte Finger und Zungen hatten, mit denen anschließend die Couch verschönert wurde. Au weia.
Den Rest des Abends verbrachten wir getrennt. Reinhard mit Safwan rauchend im Hof, wo sie Lebenserfahrungen austauschten. Ich hatte meinen Spaß mit den Frauen und den Kindern. Denn dort gab es einen Crash Kurs in Arabisch, bei dem Tränen gelacht wurden. Am Ende des Tages wusste ich nicht nur, wie ich einen Apfel, eine Banane und eine Orange bestellen auf Arabisch kann, sondern auch, dass Klingonisch seinen Ursprung im Mittleren Osten haben musste. Und was haben die Gastgeber dabei gelernt?
Dass es besser ist Abstand zu halten, wenn ein West-Gringo sich an harten Lauten versucht (Tröpfchen-Dusche!)
Dass ich diese Sprache ohne Grimassierung nie beherrschen werden (ihr könnte ja mal versuchen ein H so auszusprechen, dass es klingt wie ein Husten, der beim ersten Laut nach hinten zurückgepresst wird)
Es gibt auch hoffnungslose Fälle
Dann war es Zeit fürs Bett. Woher ich wusste, dass ich in Maryans Kinderbett lag und nicht in dem des dreijährigen, noch Windeln tragenden Mellek?
Hihi, unter meinem Laken war die Matratze nicht mit Plastikfolie versehen!
Fazit: An diesem Abend knisterte es ganz schön im Zimmer. Nur nicht zwischen uns 😅
In unserem nächsten Post erfahrt ihr dann, wie Indiana Jon… äh, Junge gegen die 800 Stufen zum Kloster Ad Deir kämpft. Morgen geht es nämlich zum wohl beeindruckendsten der neuen sieben Weltwunder – in die Felsenstadt Petra.
6 thoughts on “Couchsurfing im Kinderbett”
Liebe Chrissie, lieber Reinhard
Auch wir sind in Gedanken bei Euch . Wir lesen mit Spannung jeden Bericht von Euch und freuen uns auf den Nächsten.
Passt gut auf Euch auf. Liebe Grüße aus der Heimat ,senden Euch Gisela und Hartmut.
Das ist echt ein schönes Gefühl, dass unsere Freunde mit dabei simd und mit uns fiebern und fühlen.
Vielen Dank, Ihr Lieben!
Hallo, Christiane und Reinhard!
Das war bestimmt das erste große Highlight Eurer Reise, die Gastfreundschaft des Landes so hautnah zu erleben in einer Familie, die Euch so herzlich als Freunde aufgenommen hat.
Weiterhin viele unvergessliche Erlebnisse, neue Eindrücke und einen guten Reiseverlauf!
Liebe Grüße nach Jordanien!
Ja, war toll. Für die Gastgeber eine Menge Arbeit, neben den vier Kindern auch noch uns zu betuddeln. Und jetzt sind wir schon eine Station weiter und kommen aus dem Staunen kaum noch heraus. Warum, das könnt ihr bald lesen! 🍀
Toll (be)schreibt Ihr das! Fast als wäre man dabei!
LG W (& M)
Ein Lob aus deiner Feder (na ja, Tastatur) zählt für mich immer doppelt. Danke!