Schlaflose Nächte
Welch ein Wochenende, welch ein Montag! Nach dem warmen Februar heulen seit Tagen Sturm und Regen ums Haus. Wären wir doch erst am Strand von Akaba! Da warten eine sonnige Hotelterrasse und Wassertemperaturen von 22 Grad auf uns. Nach dem Stress der Vorbereitung gönnen wir uns dort zunächst vier Tage süßes Nichtstun …
Aber vorher müssen wir bis dorthin kommen. So langsam werde auch ich nervöser: Länger als vier Wochen war ich noch nie von Zuhause weg. Diesmal werden es sechs Monate oder mehr. Die Wohnung wird gut betreut und beschützt sein. Aber was ist mit uns? Mit mir?
Während Chrissie unermüdlich dafür sorgt, dass unsere Elektronik mit hilfreichen Apps und den nötigen Sicherheitstools ausgerüstet wird, piesacken mich ganz andere Sorgen. Was ist, wenn am Tag des Abflugs der Orkan den Regionalexpress zum Flughafen stoppt? Wenn ein jordanisches Kamel gegen meine Kniescheibe tritt? Wenn meine obere Prothese beim Biwak in der Wüste den Kampf gegen einen Lammknochen verliert?
Nachts wache ich oft nach zwei oder drei Stunden wieder auf, kann nicht mehr einschlafen und verziehe mich lieber ins Wohnzimmer. Irgendwann fallen die Augen doch zu. Aber die Träume bleiben wirr.
Bei Tageslicht sieht alles besser aus. Jordanien, unsere erste Station, ist im Vergleich zum Irak oder Syrien eine Insel des Friedens. Sehr weltoffen und touristisch gut erschlossen. Tolle Ziele. Die Felsenstadt Petra. Aber da ist diese schreckliche Zahl in einem anderen Reiseblog: Bis zum zentralen Tempel der Felsenstadt soll ich 8.000 Stufen bewältigen. Beim Teutates! Was für Sklaventreiber haben diese Treppe geplant? Dafür brauche ich zwei Jahre … mindestens! Ich sehe mich schon auf allen Vieren hochkriechen und nach Wasser schreien. Wenn Chrissie diesen Tempel sehen will, bitte. Dann zähle ich lieber unten die Sandkörner.
Iran wird schwieriger. Strengere, aber klar definierte Regeln – okay. Die Schrift – nichts für einen Crashkurs. Erst recht nicht in meinem Alter. Selbst die Zahlen schreiben sie anders. Die „1“ steht auf dem Kopf, die „0“ wird zu einem Punkt. Wie sollen wir so den richtigen Bahnsteig oder Reisebus finden? Und wie danach fragen? Sooo viele Leute mit Englischkenntnissen soll es hier auch nicht geben.
Chrissie hat eine gute App entdeckt. Sie übersetzt ins Persische: in Ton und Schrift. Und Chinesisch kann das Wunderprogramm auch. Beides ohne Internet! Eine Sorge weniger. Wie sind bloß die Touristen vor 60 Jahren heil ins Land und wieder herausgekommen? Ohne all die Technik? Respekt. Da sind wir besser dran.
Die Sache mit den 8.000 Stufen hat sich zum Glück inzwischen aufgeklärt. Irgendwie ist wohl eine Null zu viel in den Text gerutscht. Also nur 800 Stufen. Ungefähr 10 x ohne Aufzug zu uns in den 5. Stock. Schaffe ich – wenn ich fünf Stunden Zeit bekomme. Heute Abend werde ich ruhiger schlafen.
Dachte ich. Bis gerade.
Da hörte ich ein lautes KREISCH aus dem Arbeitszimmer. Chrissie hatte eine Schreckensmail von Turkish Airlines bekommen.
Völlig neue Startzeiten – und Tage. In Wahrheit ist der Flug von Aqaba nach Teheran völlig gestrichen. Grund: Die Zwischenlandung in Istanbul. Dort wird zum geplanten Termin der gesamte Luftverkehr auf einen neuen Flugplatz verlegt. Und wer guckt in die Röhre? Natürlich wir.
Zeit, diesen Post zu schließen. Ich brauche Riechsalz, Baldrian und einen Raki.